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Ceaucescus Kampf um Babys

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Rumäniens Staats- und Parteichef Nikolae Ceau-cescu schlägt Alarm: Die Zahl der Abtreibungen in seinem Land hat so erschreckend zugenommen, daß die Bevölkerung praktisch stagniert.

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Rumäniens Staats- und Parteichef Nikolae Ceau-cescu schlägt Alarm: Die Zahl der Abtreibungen in seinem Land hat so erschreckend zugenommen, daß die Bevölkerung praktisch stagniert.

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Jon und Miunara Popescu wechseln vor dem Standesbeamten im dritten Bukarester Rayon die Ringe. Freunde und Verwandte drängeln zum Gratulieren, jemand wirft eine Handvoll Maiskörner über das Paar — das soll Glück und Kinder bringen. Die möchten sie auch haben, versprechen sie vor den Kameras des rumänischen Fernsehens. Millionen Menschen verfolgten am Bildschirm das intime Versprechen der Neuvermählten — es gemahnte an die Erfüllung eines Planzieles des Fünfjahresplanes.

In Rumänien, dem Staats- und Parteichef Ceaucescu einen puritanischen Anstrich gibt, ist so etwas nicht alltäglich. Aber Babys sind nun einmal in Rumänien ein heiß diskutiertes Thema — in Parteiblättern, auf Parteiversammlungen, in den Familien.

Als erster hat es Nikolae Ceaucescu öffentlich aufgegriffen. Er ist besorgt um die Kleinsten, am meisten um die, die das Licht der Welt gleich gar nicht erblicken. Vor dem Obersten Sanitätsrat Rumäniens klagte der Landesvater über den Rückgang der Geburten und die rapide Zunahme von Abtreibungen.

In Rumänien fiel 1983 die Zahl der Lebendgeburten auf die Hälfte von 1982, da die Statistik noch 103.000 als Zuwachs anführt. Alarm löste aus, daß die niedrigste Geburtenrate zum Zeitpunkt der niedrigsten Sterblichkeit der Neugeborenen verzeichnet wurde. „Die Nation ist in Gefahr, erfüllt eure patriotischen Pflichten", donnerte Ceaucescu.

Rumänien zählt zu den 35 Ländern, die laut UNO-Statistik mit Geburten gerade noch den zahlenmäßigen Bestand der Bevölkerung halten. Geburtenmangel ist nicht nur ein rumänisches Problem, obwohl gerade dort kaum eine Maßnahme unterlassen wird, um es nicht zu einem Problem werden zu lassen. Familienpolitische Maßnahmen reichen von finanzieller Förderung bis zur Besteuerung von Junggesellen und Paaren, die nach zwei Ehejahren kinderlos sind. Medizinische Gründe sind kein mildernder Umstand.

Auch Scheidungen werden seit einiger Zeit bedeutend erschwert, wobei zuerst Sorge um Kinder getragen wird und dann erst um die Scheidungswilligen. Immerhin geht jede sechste Ehe in Brüche und die Partner auseinander.

Geburtenfreudigkeit dagegen wird stimuliert. Nicht nur mit Mutterkreuzen und dem Titel „Heldenmutter" nach dem zehnten Kind, auch mit finanziellen Zuwendungen. Familien mit mehr als fünf Kindern beziehen Prämien, die bei Bedürftigkeit zu einer Art Rente werden.

Trotz Kindergeld ist das Großziehen von Kindern bei einem durchschnittlichen Verdienst von 2.000 Lei (ungefähr 2.500 Schilling) monatlich gewiß nicht einfach. Am Land, wo die Einkommen niedriger sind, gibt es noch weniger Kinder, jedenfalls im Vergleich zum städtischen Milieu. Das ist ein kaum erklärliches rumänisches Phänomen. Dabei existiert eine moderne Mutter-Kind-Fürsorge im Rahmen des allgemeinen Gesundheitswesens.

Unter Androhung von Gefängnisstrafen wird ein Abbruch der Schwangerschaft allen Frauen verboten. Wer einen illegalen Eingriff vornehmen läßt, wird mit zweieinhalb Jahren Gefängnis bestraft, Engelmachern droht das doppelte Strafmaß. Die Zustimmung einer besonderen Kommission ist zum Schwangerschaftsabbruch erforderlich.

Die „Pille" wird in Rumänien weder erzeugt noch verschrieben. Sie wird zu horrenden Preisen nur am Schwarzmarkt gehandelt. Trotz allem sinkt die Zahl der Geburten weiter ab, weshalb Nikolae Ceaucescu die „Verantwortung der Partei, der staatlichen Organe und des medizinischen Personals für eine höhere Geburtenhäufigkeit und eine Stärkung der Familie" verschärfen ließ.

Der Frauen- und Jugendverband, die Gewerkschaften und das Rote Kreuz wurden zur Hilfestellung aufgefordert. Im großformatigen Parteiblatt „Scinteia" erklärte der Partei- und Staatschef den Rumänen auf eineinhalb Seiten, weshalb die „Begründung einer Familie und das Kinderkriegen die erste patriotische Pflicht der Bürger" ist.

„Im vorigen Jahr haben von 700.000 schwangeren Frauen über 420.000 einen Eingriff vornehmen lassen, das sind über 60 Prozent", klagte er, und hievon hatten laut Ceaucescu nur neun Prozent die Zustimmung der Kommissionen eingeholt.

Ceaucescu kritisierte Familien, die aus „Bequemlichkeit" kinderlos sind. Daß er damit auf Menschen anspielte, die die halbe Nacht anstehen, um morgens eine Flasche Milch zu ergattern oder zwischen Selbstbedienungsläden und Apotheken auf der Suche nach Babynahrung pendeln, ist kaum anzunehmen. Der sozialistische Alltag, die unsichere Versorgung mit Lebensmitteln und eine latente Arbeitslosigkeit ermuntern aber kaum zur Begründung einer Familie.

Dabei dürfte die Geburtenhäufigkeit bei den Rumänen zweifelsohne höher liegen als bei den in Rumänien lebenden Ungarn mit ihrem ausgeprägten Zwei-Kindersystem oder gar bei den jungen Rumäniendeutschen, die die angestrebte Auswanderung nicht durch Kinderkriegen gefährden möchten.

Nikolae Ceaucescu drohte auch mit Sanktionen. In erster Linie Ärzten, medizinischem Personal und Engelmacherinnen, die verbotenerweise viel Geld machen. „Sie mißachten die Gesetze der Natur, des Staates und der Gesellschaft", erklärte Ceaucescu laut „Scinteia" und er kündigt an, daß ab sofort nicht nur das Gesundheitsministerium für die Einhaltung einschlägiger Gesetze Sorge tragen werde:

„Auch das Innenministerium muß entsprechend hart und ohne Pardon durchgreifen. Wir müssen alle Kräfte unseres Volkes, der Partei und des Staates vereinen, um die Geburtenhäufigkeit zu heben."

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