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Das Hoffen nach dem Krieg

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Ich war Kriegsgefangener der Amerikaner, Weihnachten 1945 war nahe, und die Amerikaner durften unseren Gruß erwidern.

Unser Lagerkommandant Oberleutnant Howard E. Woodward übernahm es persönlich, das Weihnachtsfest im Lager zu gestalten. Alle halfen mit. Zuerst schickte er die Arbeitsmannschaffen zur Reinigung des Lagers, er wollte eine gute Hausfrau sein, sagte er.

Die mitgefangenen Litauer, deren Band sonst im Offiziersklub spielte, übten die Weihnachtslieder unserer und ihrer Heimat ein. Sie haben ihre Heimat nie wiedergesehen. Als sie zum Zweck einer Probe den längst verlassenen Wachtturm bestiegen, es sollte ja ein Turmblasen werden, entdeckten sie ein total verrostetes Maschinengewehr, das der letzte Wachposten nach Dienstschluß für immer vergessen hatte.

Köche und Fouriere hatten Extrarationen gespart, um beweisen zu können, daß sie durchaus imstande waren, ein Festmahl zustande zu bringen. Wir hatten in dieser Hinsicht nichts zu klagen, nur verstanden wir es nicht, daß zwar Züge von Neapel nach Österreich fuhren, wir aber keine Post von daheim bekamen. Uber uns Wienern lag der Schatten eines düsteren Gedankens: Lebten die Unsrigen in der Heimat noch nach den Flächenbombardements der letzten Kriegstage?

Woodward ließ kein Kopfhän-gen aufkommen. Er machte sich Gedanken darüber, woher er wohl einen hohen Christbaum bekommen würde. Er bekam ihn, aber um einen hohen Preis, denn er schlägerte, wo es verboten war. Zur Strafe wurde er nicht zum Captain befördert, wozu er zu Weihnachten anstand.

In der Dämmerung des Heiligen Abends stand der lichtergeschmückte Baum auf dem längst nicht mehr benützten Appellplatz des Lagers. Die Jazzmusiker bliesen die alten Lieder vom Turm, langsam stimmte da und dort einer mit ein, aber es klang dann heiser. Zuletzt, als die Bläser das Lied von der Heiligen Nacht anstimmten, hörte man keinen Gesang, nur Räuspern und Schneuzen. Erst bei der Wiederholung sangen zweitausend Männer mit. Nachher war es ganz still. Die Männer verdrückten sich in die Zelte.

Zu Mitternacht gingen wir zur Mette. Die Heimat war so fern, und viele haben sie nie mehr sehen dürfen. Und keine Post von daheim. Damals hatten fast alle Zeit für Gott, und so ging die Nacht zu Ende: die Weihnacht des letzten Kriegsjahrs in einer friedlosen Welt. Aber wir waren getröstet und wir hofften.

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