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Das rationalisierte Startheater

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Mit Buhs, Pfiffen, viel Ärger über einen vor allem vom ermüdeten Orchester blamabel schlecht gespielten „Fidelio“ begann die neue Saison in der Staatsoper: die „Ära Gamsjäger“. Zum Start ein (rasch zu vergessendes) Mißgeschick im sonst sehr genau geplanten Reformprogramm des neuen Chefs im „Haus am Ring“, der immerhin zwei Jahre lang geprüft, kontrolliert, errechnet hat, wohin jährlich weit mehr als 300 Millionen Schilling fließen, und sich dabei bis zum Sommer gründlich ausgeschwiegen hat, wie er sich diese Neuorganisation des hochdefizitären Mammutunternehmens „Staatsoper fusioniert mit Volksoper“ vorstellt. Hilfestellung, yor allem in finanziellen Belangen, hatte ihm schon früher Bundestheatergeneralsekretär Robert Jungbluth gegeben, als er argumentierte: „Wie kann man von Defizit reden? Kultur kostet nun einmal Geld. Bei einer Bibliothek können wir auch nicht einfach zusperren, weil sie sich aus ihrem .Einspielergebnis' nicht selbst trägt!“

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Mit Buhs, Pfiffen, viel Ärger über einen vor allem vom ermüdeten Orchester blamabel schlecht gespielten „Fidelio“ begann die neue Saison in der Staatsoper: die „Ära Gamsjäger“. Zum Start ein (rasch zu vergessendes) Mißgeschick im sonst sehr genau geplanten Reformprogramm des neuen Chefs im „Haus am Ring“, der immerhin zwei Jahre lang geprüft, kontrolliert, errechnet hat, wohin jährlich weit mehr als 300 Millionen Schilling fließen, und sich dabei bis zum Sommer gründlich ausgeschwiegen hat, wie er sich diese Neuorganisation des hochdefizitären Mammutunternehmens „Staatsoper fusioniert mit Volksoper“ vorstellt. Hilfestellung, yor allem in finanziellen Belangen, hatte ihm schon früher Bundestheatergeneralsekretär Robert Jungbluth gegeben, als er argumentierte: „Wie kann man von Defizit reden? Kultur kostet nun einmal Geld. Bei einer Bibliothek können wir auch nicht einfach zusperren, weil sie sich aus ihrem .Einspielergebnis' nicht selbst trägt!“

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Und nun? „Ordnung schaffen, ein straffes System in Besetzungsplanung, Probenarbeit, Ensembleeinsatz bringen und — Rationalisieren! Zumindest soviel, daß wir die sechspro-zentige Teuerung auffangen!“ meint Professor Rudolf Gams Jäger ganz allgemein. Aber er läßt keine Zweifel darüber, daß harte interne Maßnahmen notwendig sind und auch noch notwendig sein wejden, um ein neues Planungs- und Ordnungsprinzip gegen einen träge gewordenen Verwaltungsapparat in die Realität umzusetzen.

Gamsjäger ist sich darüber im klaren: Alle Theorie ist sinnlos. Theater heißt Praxis. Tag für Tag. Jede Reform von Details muß bei der Abendvorstellung ansetzen. Das heißt, eine großartige Premiere mit allem Startheater bringt man bald zustande, aber das Niveau der Repertoireabende möglichst hochzuhalten, ist das eigentliche Problem der großen Opernhäuser, ihre „Krankheit“. Also will Gams jäger, der immerhin ein Heer von Sängern engagiert hat, vor allem von den Reiseterminen der Sänger, von ihren zahllosen Verpflichtungen zwischen San Franzisko und Sidney und Johannesburg und Rejkjavik loskommen: Schon wegen der Abonnenten muß die Spielplangestaltung die Sängertermine bestimmen und nicht umgekehrt!“

In Hinkunft werden daher die Termine so früh wie möglich, Premierenbesetzungen für die ganze Saison und teilweise noch weiter im voraus, die Sänger der Repertoireabende mindestens auf vierzehn Tage voraus bekanntgegeben. Bis März 1973 ist der Spielplan fertig, über den Dezember 1972 hinaus die komplette Besetzung. „Aber für Stars wie die Nilsson oder Dirigenten wie Zubin Mehta (,,Boris“-Premiere) stehen die Termine oft schon bis Ende 1975 fest.“

Loskommen will Gamsjäger von jenen sinnlosen Engagements (meist um der Pension willen), bei denen die Zahl möglicher Auftritte der Sänger mit den tatsächlich vertraglich vereinbarten und honorierten in keinem tragbaren Verhältnis standen.

Dazu Gamsjäger: „Ich sehe nicht ein, warum Sänger für 90 Abende engagiert wurden, aber nur 40mal gesungen haben. Wir hatten beispielsweise den teuersten Sänger der Welt': Bei 144.000 Schilling Jahresgage hat er nur einmal gesungen!“ Daher hat Gamsjäger entschieden, daß höchstens 48 Abende in einen Vertrag aufgenommen werden und daß diese

Sänger sowohl der Staats- als auch der Volksoper zur Verfügung stehen müssen.

Hier setzt Gamsjägers eigentliches Rationalisierungsprinzip ein:

• Möglichst viele Sänger sollen in den richtigen Partien in beiden Häusern ausgelastet sein;

• es sollen stets mehrere Besetzungen für eine Partie greifbar sein;

• Probemöglichkeiten müssen garantiert werden (auch für das Orchester) ;

• das Ballett soll möglichst intensiv an beiden Häusern eingesetzt werden;

• die Bühnenwerkstätten müssen rationell arbeiten usw.

Hauptziel ist der Aufbau verschiedener Ensembles für Mozart, Strauss, Wagner, die italienische Oper (einfach unerläßlich, wenn man sich nicht für den Stagionebetrieb entscheidet und ein Opernhaus von der Größe des Wiener dem internationalen Standard entsprechend führen will.)

Das Thema „Ensemble“ scheint im Gespräch mit Gamsjäger unerschöpflich: Er hat sich da ein Prinzip ausgedacht, das freilich erst auf lange Sicht eine Garantie für hohes Niveau bietet: Um in jedem Fach Spitzensänger im Haus zu haben, sucht er nach jungen Stimmen, die sorgfältig entwickelt werden sollen. Hans Swa-rowsky wird in Hinkunft einen Studiobetrieb leiten: Er soll für die Entwicklung der jungen Leute sorgen, für die Koordinierung der musikalischen und szenischen Studien in einer Art „Studienkanzlei“, für das Erhalten und Aufbewahren szenischmusikalischer Konzeptionen der einzelnen Operninszenierungen.

Ziel: Die Staatsoper muß für Stargäste, junge Sänger und fürs Publikum attraktiv sein.

Gerade für schon „gereifte“ junge Sänger soll die Volksoper zur Verfügung stehen, wo Gamsjäger gemeinsam mit Vizedirektor Carl Dönch und der Chefdramaturgie sein Konzept verwirklichen möchte: Der Volksoper kommt die Aufgabe zu, Bildungstheater zu bieten, Werke von Mozart bis Strawinsky, oder sogar vom Barock über die Klassik zur italienischen Oper, der Spieloper und Operette aufzuführen. „Warum soll dort nicht ,Figaro' wieder einmal deutsch gesungen werden. Die Chance für junge Sänger ist enorm. Man muß die Leute nur encouragierem! Und wir müssen endlich wieder große Operette, ,Staatsoperette' spielen. Denn wer heute so etwas sehen will, muß bis München reisen!“

In der Spielplangestaltung tritt Gamsjäger für eine Koordinierung zwischen beiden Häusern ein. Die neue Oper soll am Währingergürtel gepflegt werden, Uraufführungsehrgeiz plagt ihn nicht, Novitäten genügen als Gastspiele. Nur merkt er auch die Schwierigkeiten solcher „Zusammenarbeit“ an. Etwa mit der Mailänder Scala, der die kommende Staatsopernproduktion von „Moses und Aron“ und Bernsteins „Mass“ angeboten wurden, die aber beide auf der Mailänder Bühne technisch kaum zu verwirklichen sind. Das Gegenangebot sah „Othello“ unter Claudio Abbado vor: „Ein Werk, das jedes große Haus selbst im Repertoire haben muß... Aber auch der Austausch mit dem Bolschoi-Theater ist viel zu teuer... Dennoch möchten wir eine erstklassige Operettenaufführung für Gastspielreisen produzieren. Die UdSSR hat bereits ihr Interesse angemeldet!“

Weitere Probleme hat Gamsjäger natürlich mit den Regisseuren. Nur längere Bindungen lassen eine „Handschrift des Hauses“ entstehen. Also wurde Götz Friedrich bis 1975 verpflichtet, Otto Schenk wird jährlich eine Inszenierung schaffen, mit Zef firelli wird verhandelt...

Besondere Neuerungen plant Gamsjäger für das Staatsopernballett. Es wird in Hinkunft auch in der Volksoper tanzen und zu Ende dieser Saison eine Woche lang in einem Ballettfest sein gesamtes Repertoire zeigen. Von einer Zusammenlegung der Ballette von Staats- und Volksoper möchte er einstweilen nichts wissen. Ballettchef Aurel von Milloss || erarbeitet aber soeben ein Reorganisationskonzept.

Seit der Absage Bernsteins, in Wien mit Visconti „Tristan und Isolde“ herauszubringen, ist die Frage „Kommt Karajan?“ wieder aktuell. Gamsjäger darauf: „Eine Zusammenarbeit mit Salzburg, auch mit den Osterspielen, wird vielleicht sehr bald wirtschaftlich wichtig werden. Um so mehr, als da keiner den den andern konkurrenziert!“

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