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Das Recht des Nachbarn
Rechtsprobleme enden heute längst nicht mehr an den Staatsgrenzen. Der Gastarbeiter, der in Österreich heiraten will, sieht sich einem fremden Eherecht gegenübergestellt. Der Techniker, der im Ausland eine Stelle annimmt und die Staatsbürgerschaft des anderen Landes anstrebt, muß sich mit den Gesetzen seiner künftigen Heimat befreunden. Der Jurist aber, der ihm dabei helfen soll, hat in seinem Studium kaum etwas von den Rechtssystemen des Auslandes mitbekommen.
Dieses Dilemma ist nicht auf Österreich beschränkt. Alle Industriestaaten sind ihm heute gleicherweise ausgeliefert. Überall fehlt es an geschulten Juristen, die das eigene mit dem fremden Recht vergleichen können: die Ausbildungssysteme nehmen auf diese Notwendigkeit keine Rücksicht. Die — ebenfalls überall — im Gang befindlichen Rechtsreformen werden festgelegt, ohne daß man sich überlegt, ob und wie der Nachbar auf die Veränderungen reagieren könnte.
Deswegen setzten sich kürzlich in Straßburg die Vertreter sämtlicher Juristenfakultäten der Mitgliedstaaten des Europarates zu ihrer vierten Konferenz zusammen, um diese Probleme zu beraten. Österreich war durch den Ordinarius der Wiener Universität, Prof. Dr. Bruno Schmid-lin, und den Generalsekretär der Rektorenkonferenz, Dr. Raoul Kneucker, vertreten. In drei Arbeitsgruppen ging es um die Abstimmung neuer Curricula, in denen die Rechtsvergleichung ihren Platz finden soll, dann um die Berufsausbildung der künftigen Juristen und die einschlägige Forschung, schließlich um die aus der Sicht der „Kompara-tisten“ — der Rechtsvergleicher — erwachsenden Anregungen für die Rechtsreformen.
Gerade Österreich muß an diesen Beratungen besonders interessiert sein. Seine politische Position als neutraler Staat, seine geographische Lage im Herzen des Kontinents zwischen Ost und West, seine Gastgeberrolle als Sitz mehrerer internationaler Organisationen, seine intensiven Verflechtungen wirtschaftlicher und privater Art mit näheren und ferneren Nachbarn — alles das sollte für eine intensivere Befassung mit den Rechtssystemen der anderen sprechen. Dazu steht — als eine der letzten — die Studienordnung der Juristen noch im Beratungsstadium, und gerade der Entwurf hierzu räumt der Rechtsvergleichung fast noch weniger Platz ein, als die bisherigen Bestimmungen es taten, betont Prof. Schmidlin.
Vier Forderungen nannten die Spezialisten in Straßburg: v
#Die Einführung der Rechtsvergleichung als Pflichtfach in die Studienpläne,
#ihre stärkere Integration in die Kernfächer des positiven Rechts und in die historischen Disziplinen,
#die Verbesserung der fremdsprachlichen Ausbildung,
#vermehrten Austausch von Dozenten und Studenten.
Im neuen österreichischen Studiengesetz soll dagegen nach dem vorliegenden Entwurf der zweite Studienabschnitt ausschließlich dem positiven Recht vorbehalten bleiben. Als Ausweg schlugen die Professoren vor, wenigstens die Rechtsvergleichung und parallel dazu eine Einführung in die Privatrechtssysteme der Neuzeit in den Wahlfächerkatalog aufzunehmen. Eine vertiefte Ausbildung, aufbauend auf vorbereitenden Maßnahmen, die das Verständnis für die fremden Rechtssysteme wecken sollen, müßte dann in Fortbildungsveranstaltungen geboten werden.
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