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Demaskierung der Operette

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Während auf der Probebühne des Grazer Schauspielhauses trotz gekonnter Regie (Heinz Hartwig) und bestechender Darsteller (Gerti Pall und Erhard Koren) das Thema des Kontakt- und Sprachverlusts an Hand von Sodomie und anderer Unappetitlichkeiten kurzatmig erörtert wird — in dem recht simplen Stück „Männersache“ von Kroetz — zieht die große Bühne des Hauses das Publikum magnetisch an mit einer aufwendigen Monsterproduktion unter der Leitung Fritz Zechas.

Es handelt sich um das letzte Stück des polnischen Autors Witold Gom-browicz (gest. 1969) in seiner österreichischen Erstaufführung: „Operette“, vor drei Jahren in Italien uraufgeführt, ist ein monströses, teils bizarres, teils geistfunkelndes, dann wieder banales, zeitweise fades, meist aber mitreißendes, farbensprühendes Gemisch aus Sozial- und Ideologiekritik, Ironisierung geschichtlichen und gesellschaftlichen Pathos, Skepsis an Altem und an Neuem und naiv^kitschigem Optimismus. Als Vehikel für dieses fulminante Tingeltangel an Ideen und mimischen Formen dient Gombrowicz die Form der Operette, jener Kunstgattung von „sublimer Idiotie“ und „himmlischer Sklerose“, die für ihn das vollkommen theatralische Theater darteilt.

Die Handlung, wenn von einer solchen geredet werden kann, beginnt um 1910 und endet nach den beiden Weltkriegen. Sie bringt die dekadente Morbidität der Vorkriegsgesellschaft ebenso ins Spiel wie den proletarischen Revolutionär, dem der

marxistische Professor sich als intellektuelles Streitroß anbietet. Der Sturm der Geschichte weht ihnen die letzten Habseligkeiten davon, und der Bankrott jeder, aber auch wirklich jeder Ideologie tritt unverhüllt zutage. Das harmlose Albertinchen steigt alsdann splitternackt aus dem Sarg, in den die Repräsentanten aller Stände und Weltanschauungen ihre Symbolstandarten gelegt hatten, und verkündet so die nackte, ewige Jugend, eine Menschheit, die von keinerlei Masken, Moden und Tabu-Vorstellungen mehr geplagt ist.

Ein politisch-weltanschauliches Symbolspiel also von beachtlichen szenischen Ausmaßen. Obwohl die Elemente des Genres zur Verfremdung benützt werden, ist diese „Operette“ doch alles andere als eine Operettenparodie. Die traurige Albernheit der Gattung hat stets etwas Rührendes, das ins Absurde weist. Ein entschiedener Nachteil des Werkes ist die geballt und haufenweise massierte Symbolik, die zum Schluß gequält und sogar billig wirkt. Fritz Zecha wußte aus dem schwierigen Vorwurf ein Optimum an geschickt dosierter Theatralik zu zaubern, eine Art Gesamtkunstwerk von besonderen ironischen Graden. Hervorragend die beiden Operetten-tenöre Erwin V. Gross und Thomas Tarjan und der exquisite Louis Riess als Pariser Modeschöpfer Fior. Das Albertinchen der Beate Granzow hatte allerdings nichts anderes als eine wohlgeformte Figur zu bieten. Sehr viel Beifall für diesen interessanten Abend.

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