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Der Fall Sibelius

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„Meister des 20. Jahrhunderts“ heißt der Zyklus, in dessen Rahmen am vergangenen Freitag durch das ORF-Orchester ausschließlich Werke von Jean (nicht Jan!) Sibelius aufgeführt wurden. — In manchen einschlägigen deutschsprachigen Konzertführern findet man ihn überhaupt nicht oder nur mit einigen Zeilen erwähnt. Denn, obwohl ein Jahr jünger als Richard Strauss, zählt Sibelius nach der Meinung heutiger Musikologen nicht mehr zum 20. Jahrhundert.;— Dieser Einzelgänger unter den Spätromantikern nimmt aber in den Programmen der skandinavischen Länder, Englands, der USA und andernorts immer noch einen beträchtlichen Platz in ihrem Repertoire ein. (Bis vor kurzem konnte man von einer Bruckner-Sibelius-Linie sprechen, das heißt: wo man den einen besonders pflegt, ist der andere kaum präsent.)

Wie auch immer: Sibelius ist ein origineller Komponist mit einer reichen, für Tongemälde geeigneten Palette, ein Stimmungsmusiker, Erzähler und Landschaftschilderer par excellence. — Und alles, fast alles was er schrieb, ist aufs engste mit seiner Heimat verbunden (die ihn auch entsprechend zu ehren wußte). — Formprobleme scheinen ihn wenig beschaff igt zu-haben. Als er 19ö“ starb (wir erinnern uns noch genau), begann ein großes Rätselraten um seinen Nachlaß. Denn Sibelius hatte sich bereits 1936 aus dem Musikleben zurückgezogen. Aber man fand nur leere Laden. — Doch ist die Summe dessen, was er geschrieben hat (sieben Symphonien, eine lange Reihe von Tondichtungen sowie vielerlei Kammermusik und Lieder) so bedeutend, zumindest so charakteristisch, daß die große im Bärenreiter-Verlag erschienene Musikenzyklopädie diesem Werk nicht weniger als zehn Spalten widmet...

Sibelius hat erstmals sein Land im Jahre 1900 auf der Pariser Weltausstellung vertreten. Vorher hatte er bereits eine Symphonie geschrieben und große Teile aus dem Kalewala-Epos vertont, aus dem er eine Oper machen wollte. Seither lebte er als Staatsstipendiat auf einem Gut in der Nähe von Helsinki. In den Jahren 1902 bis 1924 sind weitere sechs Symphonien entstanden, die auch Furtwängler, Toscanini und Karajan gern aufführten.

Der neue Chefdirigent des Rundfunk-Symphonieorchesters hat etwas riskiert, als er ausschließlich Werke von Sibelius aufs Programm setzte — und hat gewonnen: das Konzert war erstaunlich gut besucht, und Segerstams sichtbares Engagement hat sowohl das Orchester wie auch das Publikum beeindruckt. Freilich mag auch der Solist des 1903—1905 entstandenen Violinkonzertes, Oleg Kagan (hierorts gut bekannt und Träger des Sibelius-Preises 1970) zu dem Erfolg beigetragen haben. Obwohl gerade dieses Konzert, trotz seines virtuosen Soloparts, zu den weniger interessanten Kompositionen \'on Sibelius gehört. Hier wahrt er durchaus die dreiteilige traditionelle Form, schreibt schwierige Kadenzen usw. — Mit der symphonischen Dichtung „Pohjolas Tochter“ op. 49 aus dem Jähre 1906 hatte das Konzert begonnen, mit der 5. Symphonie Dp. 82, 1916—1919 entstanden, wurde es abgeschlossen. — Da Sibelius, ähnlich wie Mahler, in späteren Jahren die ursprünglichen programmatischen Deutungen seiner Phantasien und Symphonien ablehnte, wollen auch wir nicht darauf insistieren. Das dreiteilige, nur eine gute halbe Stunde dauernde Werk hat einen wirklich geglückten und mitreißenden Schlußsatz und zeigt Sibeliu* von seiner besten Seite. — Stärket-und langanhaltender Beifall, wie schon nach dem 1. Teil, besonders für den virtuosen russischen Geiger.

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