7060507-1991_34_11.jpg
Digital In Arbeit

Der „Scheich Musa" aus Richtersdorf

19451960198020002020

In der Hanä gab es bis 1945 deutsche Sprengel. Mittelpunkt war die Kreisstadt Wischau, in deren Nähe der Geburtsort des berühmten Orientalisten Alois Musil liegt, eines österreichischen „Lawrence von Arabien"

19451960198020002020

In der Hanä gab es bis 1945 deutsche Sprengel. Mittelpunkt war die Kreisstadt Wischau, in deren Nähe der Geburtsort des berühmten Orientalisten Alois Musil liegt, eines österreichischen „Lawrence von Arabien"

Werbung
Werbung
Werbung

Im sechsten Band seiner gesammelten Werke schrieb Jakob Julius David über die Hanä (Hanna), jene fruchtbare Ebene, die sich, nach dem gleichnamigen Flüßchen benannt, von den Orten Stemberg, Kremsier, Wischau und Mährisch-Weißkirchen begrenzt, unendlich vielfältig in die mährische Landschaft erstreckt: „Dies war das reiche und fruchtschwere Flachland, das ich kannte, liebte und desto schmerzlicher ersehnte, je länger ich' s nicht gesehen; umgrenzt von blauen Bergen, so daß nirgends der Eindruck der Grenzenlosigkeit und der Verlassenheit wach ward; mit den Wassern, die träge rinnen, große Bögen und Krümmungen machen...; mit den eingesprengten dichten Auwaldungen voll friedlicher Schatten, den steifen Pappeln am Saum der weißen Straße..."

Die Hanä war auch in der Zeit der Monarchie überwiegend tschechisch besiedelt, nur vereinzelt gab es bis 1945 deutsche Einsprengsel. Der Mittelpunkt des deutschsprachigen Siedlungsgebietes war die Kreisstadt Wischau (jetzt Vyskov).

Die Bauern dieser sogenannten „oberen Sprachinsel" von Lissowitz, Swonowitz, Rosternitz, Hobitschau und Kutscherau trugen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges - als letzte ihrer Art - die reiche Tracht der Hannaken buchstäblich von der Geburt bis zum Tode als ausschließliches Kleidungsstück. Die Männer trugen hohe, glänzende, schwarze Stiefel, rote und gelbe Lederhosen; dazu weiße Hemden mit Pluderärmeln, einer Halsleiste und geziert mit Silberknöpfen, darüber eine grüne Weste.

Die Frauen trugen Röcke aus gefaltetem, schwarzem Leinenstoff, dazu dunkelblaue Plüschjacken, die oft reich bestickt waren. Die schönste Zier war jedoch eine weiße, gestärkte und kunstvoll gearbeitete Spitzenhalskrause, die auch bei der Arbeit nicht abgenommen wurde. Auf dem Kopf wurde ein weißes oder rotes Tuch getragen, das man je nach Anlaß anders band. Die Trachten der Sprachinsel sind heute noch im Museum des Schlosses von Wischau zu sehen (Mu-zeum Vyskovska).

Arabienforscher

Das Schloßmuseum, das im einstmals malerischen Stadtkern mit seiner spätgotischen Kirche Maria Himmelfahrt, einem Renaissance-Rathaus mit markantem Stadtturm, die die frühere Pracht der ehemals landesherrlichen Stadt ahnen lassen, liegt, birgt aber auch noch einen anderen Anknüpfungspunkt, der zu dieser Reise in die Hanä bewogen hat.

In einem kleinen Dorf unweit von Wischau, heute Richtärov (früher Richtersdorf) fanden wir an einem schlichten Bauernhaus die Steinbüste des Orientalisten, Geografen und Forschungsreisenden Alois Musil, Professor an der Universität von Wien und Prag, der in der arabischen Welt als „Scheich Musa" bekannt geworden war.

Der berühmte Arabienforscher wurde am 30. Juni 1868 als Sohn einer bäuerlichen Familie in Richtersdorf (Rychtäfov) geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Kremsier studierte er in Olmütz Theologie. Nach seiner Promotion wirkte er ab 1902 zuerst als außerordentlicher undspäter als ordentlicher Universitätsprofessor. Durch seine Veröffentlichungen über die arabische Welt, wurde Kaiser Franz Joseph I. auf den jungen Professor aufmerksam und berief ihn 1909 als ordentlichen Professor für Bibelwissenschaften und arabische Sprachen an die Universität in Wien.

Schillernde Mission

Nach dem Zerfall der Donaumonarchie nahm Musil auf Wunsch des tschechischen Staatspräsidenten Thomas Masaryk im Jahre 1920 eine Berufung an die Prager Karls-Universität als Ordinarius für Orientalistik an. Musil starb am 12. April 1944 in Neuhof bei Sternberg (Otryby na Cesky Sternberk).

Der Gelehrte hatte seit 1896 auf zahlreichen Reisen die biblischen Länder um das Tote Meer herum erforscht. Neben seinen vielseitigen Forschungen (um die Jahrhundertwende hatte er das bis dahin verschollen geglaubte Wüstenschloß Kusejr Amra entdeckt) machte er auch auf kartographischem Sektor von sich reden. 1907 entstand auf mehreren Blättern die Karte „Arabia Petraea", mit der erstmals ein hoher Standard in der topographischen Erfassung des Umlandes des osmanischen Reiches erreicht wurde.

Sehr schillernd ist Musils Mission des Jahres 1915, die ihm den Titel „Musil von Arabien" oder „Scheich Musa" einbringen sollte: Zufolge seiner besonderen Kenntnisse des Landes, die er sich durch seine kartographischen Leistungen erworben hatte und aufgrund seiner perfekten Sprachkenntnisse sollte er die innerarabischen Emire aussöhnen und sie im Kampf gegen England bestärken, sowie an die Seite der Osmanen bringen. Laut den Erinnerungen des k. u. k. Feldmarschalleutnants und Militärbevollmächtigten Joseph Pomian-kowski sollte Österreich an Stelle von Frankreich das Protektorat über die Katholiken im Nahen Osten übernehmen. Für die Dauer der Mission wurde Musil in den Rang eines Feldmarschalleutnants erhoben und führte den Titel „Exzellenz".

Das Schloßmuseum in Wischau präsentiert eine umfangreiche und wunderschöne Musil-Ausstellung mit einzigartigen Dokumenten, Einrichtungsstücken, Arabica, Bildern, Fotos und Erinnerungen an einen österreichischen Lawrence von Arabien".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung