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Der Sieg des Hasses gegen Österreich

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Wenn wir an den „Frieden” von St. Germain-en-Laye denken, müssen wir uns daran erinnern, daß der Erste Weltkrieg ein Krieg „um” die Donaumonarchie war. Es war demnach auch nicht der „Friede” von Versailles, sondern der von St. Germain (und Trianon), der die Karte Europas radikal verändert hat.

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Wenn wir an den „Frieden” von St. Germain-en-Laye denken, müssen wir uns daran erinnern, daß der Erste Weltkrieg ein Krieg „um” die Donaumonarchie war. Es war demnach auch nicht der „Friede” von Versailles, sondern der von St. Germain (und Trianon), der die Karte Europas radikal verändert hat.

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Sehr richtig nannte Sir Denis Brogan den Ersten Weltkrieg den „Zweiten österreichischen Erbfolgekrieg”, und man kann hinzusetzen, daß der Zweite Weltkrieg dann unser dritter Erbfolgekrieg war. In St. Germain aber wollte man die These František Palackys widerlegen, daß Österreich erfunden werden müßte, wenn es nicht schon existierte. Clemenceau, der alte Kommunarde, der Österreich genau so wie die Kirche haßte, bemerkte triumphierend auf eine Anfrage, was denn nun Österreich sei: „Ce qui reste - was da übrigbleibt.”

Doch war der „Vertrag” von St. Germain nicht nur das Resultat des Nationalismus und der Sieg der dem Nationalsozialismus vorangehenden Nationaldemokratie, sondern auch - was meine naiven Kompatrioten oft überrascht - des ungeheuren Hasses in der weiten Welt gegen das alte Österreich. Die führenden Ideologien waren damals fanatisch antiösterreichisch: Lloyd George hatte gesagt, daß man die Donaumonarchie und nicht Deutschland aufteilen müßte, denn letzteres wäre doch, „progressiv und protestantisch”.

Am 21. September 1936 grüßte Lloyd George seine Tochter Meg in Berchtesgaden mit dem Hitlergruß und sagte den Journalisten: „Hitler ist einer der größten der großen Männer, die ich kenne, und die deutschen sind das glücklichste Volk der Welt.” Ein Jahr darauf donnerte er gegen Franco, und als ihn Virginia Cowles fragte, warum er denn für Hitler und gegen Franco sei, erwiderte Lloyd George augenzwinkemd, daß er immer dort sei, wo es gegen die Priester ginge.

Also ideologische Ursachen? Im Februar 1918 trafen einander in einem Gut bei Bern Dr. Lammasch und seine Begleiter, von Kaiser Karl geschickt, um mit dem „Theologieprofessor” George D. Herron, Wilsons linker Hand in der Außenpolitik, über einen Separatfrieden zu verhandeln. Lammasch sprach über den angestrebten föderalen Donaustaat.

Nach einer Nacht „inneren Ringens wie Jakob mit dem Engel” blieb Herron hart: dieser Plan hätte nicht das Ende der Habsburger bedeutet und das durfte des Fortschritts wegen nicht sein. Lammasch war verzweifelt, denn Herron (der auch Wilson überredet hatte, Österreich-Ungarn den Krieg zu erklären) wies den Vorschlag zurück. Hier hätte man vielleicht eine halbe oder eine ganze Million Menschenleben retten können, aber welche Opfer bringt man nicht dem „Fortschritt”?

Herron war ein defrockierter kon- gregationalistischer Pastor, Autor des Buches: „Die Bedrohung durch den Frieden”, der aber nicht nur Wilson, sondern auch das Foreign Office beriet. Ihm verdanken wir auch den Standort des Völkerbundes in Genf als der Stadt Calvins und Rousseaus. Als aber dann die Friedensschlüsse signiert wurden, jammerte Herron laut auf und sah ein Jahrhundert „tar- tarischer” Kriegsgreuel voraus.

Die österreichische Delegation’ führte Karl Renner an, der in St. Germain offiziell die „Republik Deutschösterreich, Bestandteil der Republik Deutschland” vertrat. Dieser Herr Karl, pardon: Dr. Karl, hatte noch 1916 den Plan der französischen Bourgeoisie verlacht, die republikanische Staatsform ins Herz Europas übertragen zu wollen. Um sich aber in St. Germain bei den Alliierten Liebkind zu machen, beschimpfte er die alte Monarchie als „Völkerkerker”.

Doch seine devote Ergebenheit in St. Germain war vergeblich. Behandelt wurde die österreichische Delegation wie ein Haufen schmutziger Gelegenheitsverbrecher: sie hatte keine Devisen, hungerte, durfte keine Kontakte mit Freunden in Paris aufnehmen, lebte hinter Stacheldraht, wurde unter militärischer Bewachung ins Schloß geführt, wo sie nicht verhandeln, sondern nur „Bemerkungen” machen durfte. Und unser Doktor Karl war kein Brockdorff-Rantzau, der in Versailles das Pack anbrüllte und nach Hause fuhr.

Hätte jemand anderer bessere Bedingungen für Österreich erlangen können? Keine Spur! (Auch den Verdacht, daß man sich nicht auf Südtirol „kaprizierte”, weil dies meistens „schwarze” Wähler gebracht hätte, teilte ich nicht. Der Mann war ein Patriot, auf seine kuriose Art und Weise.)

Die Rache der Sieger war wohl kalkuliert, und in Sarajewo wurde schon am Denkmal für den Mörder Princip fleißig gebaut. (Der Vertrag von Versailles wurde sogar am fünften Jahrestag der Abschlachtung des Thronfolgerpaares taktvoll zelebriert.)

In St. Germain (und Trianon) wurden synthetische Staaten aufgebaut, Vielvölkerstaaten, aber ohne das einigende Band der Geschichte, der Krone und der Kirche, mit neuen

Herrenvölkem und neuen „Minderheiten” (und aggressiv ausartenden Minderwertigkeitskomplexen).

Die „Kleine Entente” sollte Deutschland im Schach halten und so nebenbei auch die Rückkehr der Habsburger verhindern. Doch die „Kleine Entente”, die von den wehrlosen französischen Steuerzahlern

Milliarden bekam, erfüllte ihre Aufgabe selbstverständlich nicht. Die Tschechoslowakei mit 45 Prozent Tschechen (und 55 Prozent erboster „Minderheiten”), feuerte keinen Schuß ab, die königliche Armee Jugoslawiens kämpfte nur 8 Tage, Rumänien dachte praktischer und stellte sich gleich auf die Seite

Deutschlands, das den Krieg geopoli- tisch gewonnen hatte.

Rektor Fritz Komemann sagte in seiner Breslauer Rede (Oktober 1926), er sehe deutlich, daß Deutschland nunmehr lediglich an eine Großmacht (Frankreich) grenze und ungehindert in die Schütterzone zwischen dem Reich und Rußland vorstoßen könne.

Zwischen 1938 und 1945 sah man dann auch die drei Akte des Trauerspiels: die deutsch-russische Teilung, die deutsche Besetzung, die russische Herrschaft. Nun haben die armen „Nationalitäten” die traurige Gelegenheit, zwischen dem alten „Völkerkerker” und ihrer paradiesischen Existenz Vergleiche zu ziehen.

In St. Germain, Trianon, Versailles und Neuilly feierten das Unwissen, die Niedertracht, die Rachsucht und die Dummheit wahre Orgien. Wenn man die Vorgeschichte und Geschichte dieser „Verträge” genau studiert, bleibt einem der Verstand stehen. Und wahrlich kann man hier (ausnahmsweise) sagen: „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.”

Fast jedes Jahre besuche ich St. Germain. In der Kirche gegenüber dem Schloß ist Jakob II., der letzte regierende Stuart, begraben, der nach bewegtem Leben im Geruch der Heiligkeit starb - ein anderer Schlußstein. Im Schloß aber ist auch der Vertrag Ludwigs XIV., mit Bernhard von Weimar im Dreißigjährigen Krieg gegen den Kaiser geschlossen worden, wahrlich kein Ruhmesblatt in der Geschichte der „Ältesten Tochter der Kirche”.

Heute ist im Schloß ein prachtvolles keltisch-römisch-fränkisches Museum untergebracht, in dessen Saal XXIII der infame „Vertrag” diktiert wurde. Hier kann man am Boden ein herrliches römisches Kalendermosaik bewundern, in dessen Mitte eine auf einer Wildsau reitende Hexe prangt…

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