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Der Tod des Großen Führers
Als die Vorrangnachricht vom Kollaps des Großen Führers, kurz nach seinem 91. Geburtstag, über die Fernschreiber der Weltagenturen tickte, wußten die Politiker aller Staaten Europas, daß es galt, den Schock aufzufangen, der der Welt bevorstand. 35 Jahre lang hatte der GF die Geschicke Europas, ja der Welt entscheidend beeinflußt. Nur die Alten konnten noch erzählen, wie es war, als es noch keinen Großen Führer gegeben hatte. Aber niemand konnte sich vorstellen, daß es ihn einmal nicht mehr geben könnte.
Während die ärztlichen Bulletins aus der Salzburger Privatklinik immer lakonischer wurden, hatten tausend Redakteure in tausend Zeitungen des Erdballs Zeit nachzudenken, was sie schreiben sollten, wenn es so weit wäre. Was der „Völkische Beobachter" schreiben würde, konnte man sich ausrechnen. Aber das konnte ja wohl nicht genügen, diese Epoche objektiv auszuloten.
In der Redaktion der „Wiener Neuesten Nachrichten" kaute Joschi Navra-til an seiner Pfeife. „Uns hat er damals nach Wolhynien geschickt. Die deutschen Siedlungen im Osten zu verstärken. Weil meine Leute eine Resolution unterschrieben hatten, in der sie Autonomie für Österreich forderten", sinnierte er. „Aber schau", warf Kollege Brandl ein. „Wer wird denn an solchen Sachen hängen bleiben? Seid's ihr nicht alle wieder zurückgekommen?" „Meine Eltern nicht", antwortete Navratil, „und ich erst vor 20 Jahren." „Na also", fühlte sich Brandl bestätigt. „Und geht's uns heute nicht besser als je zuvor?"
In der Redaktion des „Peuple franca-is" brummte Josef Dupont: „Je n'aime pas les dictateurs!", als ihm sein Chefredakteur den Auftrag gab, den Nachruf vorzubereiten. Er dachte an die Säuberungen, die nach dem Endsieg im Westen wie im Osten des vom Großdeutschen Reich beherrschten Europa dafür sorgten, daß der Widerstand gegen die neue Ordnung gebrochen wurde. „N'y pensez pas!" beruhigte ihn der Chefredakteur und fühlte nach der Rosette des Ordens der Neuen Ordnung im Knopfloch. „Lauter Ewiggestrige - mit ihnen hätten wir nie das neue Europa zustandegebracht!"
Im „Laibacher Tagblatt", dem Organ der deutschen Bürgerschaft im Freistaat Slowenien, hatte der alte Jo-sip wieder einmal die heikle Aufgabe übernommen. Der Nestor der Redaktion war längst in Pension. Aber wenn es galt, Probleme aus der Sicht eines langen Lebens zu analysieren und zu lösen, holten die Jungen gerne den alten Josip zu Hilfe. Josip hatte noch die Monarchie erlebt, das Königreich Jugoslawien, die Besetzungszeit - wie lange lag dies alles zurück. Keiner der Jungen, die im neuen Freistaat aufgewachsen waren, konnte sich davon ein Bild machen.
Und weil Josip ein Freund phantastischer Romane war, sinnierte er, wie die Geschichte wohl verlaufen wäre, wenn jene deutsche Gebirgsjägereinheit damals im Februar 1944 bei ihrem Handstreich auf Jaice nicht das Hauptquartier der Kommunisten ausgehoben und ihren Anführer an die Wand gestellt hätte. Damit war der Widerstand zusammengebrochen, war der erste Schritt zum Endsieg, zur Neuordnung des Kontinents getan.
Wie hieß doch nur jener Partisanenchef? Josip hatte den Namen längst vergessen, er wußte nur noch, daß er auch Josip geheißen hatte. Er erinnerte sich, daß sie einst in derselben Einheit gestanden waren, als Soldaten unter Franz Joseph. Und Josip kam zum abschließenden Ergebnis, daß für die Geschichte nur der Erfolg zählt. Zum mindesten in den Augen der Nachwelt.
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