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DIE KUNST DES ZÄRTLICHEN BERSERKERS

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Er schaut weder rechts noch links. Alles, was er im Blickwinkel hat, ist seine Kunst. Da diese Kunst aber von der realen Welt handelt, sieht der Künstler Othmar Krenn eine ganze Menge.

Er ist das Originalgenie unter den steirischen Künstlern und heuer vierzig Jahre alt. Eine lebendige Institution, die sich selbst das permanente Aufbrechen von Verkrustungen auferlegt hat: Othmar Krenn.

Der jüngste „Streich" des 1952 in Gratwein bei Graz geborenen Krenn heißt „Kunstzug" und ist ein ebensolcher. Derzeit unterwegs in der Steiermark, anschließend auf Rundreise durch das restliche Österreich samt angrenzendem Mitteleuropa. „Es ist eine Huldigung an die Natur", sagt der gelernte Schlosser und künstlerische Autodidakt. „Ein Stück beschützte Landschaft fährt durch die offene, in beschützte Landschaft."

Sie fährt auf einem 24-Tonnen-Waggon, der 1945 in Berlin gebaut wurde. Auf das museale, aber keineswegs gebrechliche Stück, zur Verfügung gestellt von den Bundesbahnen, hat Krenn in den Grazer Werkstätten des Wagenbauspezialisten Simme-ring-Graz-Pauker eigenhändig einen fast zwölf Meter langen, zwei Meter hohen Nirostakäfig aufgeschmiedet. Im Käfig: Landschaft - Felsen, Erde, Pflanzen. Gewicht des Arrangements, ein Gegenstück zu Ikebana-Duftig-keit und Bonsai-Zierlichkeit: rund achtzig Tonnen.

Bis Dezember wird Krenns „Kunstzug" durch die Lande rollen, vorerst stehen 31 Bahnhöfe fix auf dem Reiseplan. Im Gesamtwerk des Künstlers, in dem die Achse Natur-Kunst seit jeher eine wichtige Rolle spielt, ist die Arbeit eine durchaus konsequente Weiterentwicklung von Ideen (darüber noch mehr). Rollt der „Kunstzug" nicht, solle er sich als wuchtige Mobil-Plastik und bereits zweites Krenn-Objekt in den Skulpturenpark rund um das ORF-Landesstudio Steiermark in Graz-St. Peter einfügen.

Die erste Park-Arbeit Krenns ist ein monumentaler, blechummantelter Findling. Kultur und Kunst. Objekte ähnlicher Art hat Krenn, der seine Künstlerkarriere als manischer Zeichner surrealer Motive, später strenger, konstruktivistischer Kompositionen begann, zahlreiche geschaffen.

So hat Krenn für ein Grazer Wohnhaus schon 1980 einen vierzehn Tonnen schweren Stein mit Stahlbändern umwickelt („Rasterstein"). Für das Grazer Unfallkrankenhaus schuf er einen „Scheibenstein", für ein Uni-Institut den „Kegelstein", jeweils monumentale Verbindungen von Stahl und Fels. Eine gewaltige, acht Meter lange „Durchdringung" ist in Murau zu besichtigen, andere skulptura-le Symbiosen finden sich in Stuttgart, in Spit-tal an der Drau. Einen aufsehenerregenden „Kreuzstein" - mit dem für Krenn-Verhältnisse beinahe bescheidenen Gewicht von drei Tonnen - steuerte Krenn zum Steirischen Katholikentag 1981 bei..

Krenn, der frühe Förderer im nunmehrigen Intendanten des „steirischen herbstes", Horst Gerhard Haberl, sowie im später über dunkle Finanzgeschäfte gestrauchelten Abt des Stiftes Rein, Paulus Rappold, fand, hat seine Arbeit stets in einem Naheverhältnis zu Religion und Ritus gesehen. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel der Kooperation zwischen Kirche und zeitgenössischer Kunst ist des Künstlers Neugestaltung der Grazer St. Lukas-Kirche.

Lange suchte die Pfarre St. Lukas nach einer Möglichkeit, ihrem schlichten Haus am Grazer Gürtel ein würdiges Kleid zu geben. Das klare Konzept dazu kam von Krenn. Dessen Inspiration wiederum: der Exodus, das Bild der Kirche als wanderndes Gottesvolk: „Das Vorbild ist der Topos, das alttestamentliche Gottesvolk, unterwegs aus der Knechtschaft, durch Wüste und Not, unterwegs zum Gelobten Land. Dieses Bild der Kirche ist neben anderen ein Bild, das beim letzten Konzil oft verwendet wurde" - so beschreibt der Priester, Künstler und Rektor des Grazer Kulturzentrums bei den Minoraten, Josef Fink jenes Projekt, das St. Lukas im Vorjahr, im Jahr des 20jährigen Bestehens der Pfarre, realisierte.

Krenns Konzept auf den Spuren des Exodus ist in seinen Details für die Pfarre, die ob ihrer Lage in einem zweifellos wenig attraktiven Teil der steirischen Landeshauptstadt als „schwierig" gilt, maßgeschneidert. So hat Krenn in Nordafrika und Nahost verschiedene Sande gesammelt und sie in Jerusalem in das an einen Hirtenstab gemahnende Vortragekreuz eingeschweißt. Den Kirchenraum selbst gestaltete er als Zelt, mit Gewichten beschwerte Planen bilden einen Raum im Raum, das Motiv der Bewegung ist hier aufgenommen.

Dieses Motiv kehrt wieder in der Gestaltung der Sessionen, sie wecken Assoziationen zu den tragbaren Sesseln der Bischöfe aus dem beginnenden Mittelalter, „als die Seßhaftigkeit der Kirche noch nicht garantiert war" (Fink). Gemeinsam unterwegs sein -für St. Lukas, lange Jahre unmittelbar an der Gastarbeiter-Route gelegen, Zentrum diverser Hilfeleistungen, hat dieses Motto Tradition.

Eigener Körper als Material

Immer wieder hat der Bildhauer Othmar Krenn auch seinen eigenen Körper als Material seiner Kunst eingesetzt, was ihm den Ruf eines wilden Aktionisten eingetragen hat. So hauste er einige Zeit in den steirischen Wäldern, nackt und lehmbeschmiert, von Wurzeln und Beeren lebend. In New York ließ er sich in einem Käfig durch die Straßen fahren. In Linz rasterte er seinen nackten Körper in Art seiner Steine.

Ein anderes Instrument, eine weitere Arbeit im umfangreichen CEuvre-katalog des Künstlers ist jene „soziale Plastik", die unter dem Titel „ 1. Österreichische Kulturklinik für Kunstkranke" firmiert. Hier hat sich Krenn eine Plattform für diverse Äußerungen geschaffen, die den Kontext konventioneller Kunstproduktion noch weiter sprengen als es viele andere Krenn-Werke ohnedies schon tun. Krenns Kompagnon in dieser Klinik wider die billigen Vorurteile ist der entmündigte Musiker Robert Siegel „als Chef einer fiktiven psychiatrischen Anstalt" (Horst Gerhard Haberl), die beides ist: Karikatur herkömmlicher Therapie-Instanzen und visionärer Gegenentwurf.

„Zeitkörper. Zu den Weltmodellen von Othmar Krenn" hat Haberl vor einigen Jahren eine Zwischenbilanz in Katalogform überschrieben. Krenns „Weltmodelle" kommen freilich nicht aus der Distanz souveräner Überblik-ke. Der Modellbauer Krenn schöpft aus intuitiver Unmittelbarkeit. Das sichere Gefühl für Dimensionen, die bei aller Größe immer menschlich bleiben, ist seine Stärke.

Er ist ein Berserker, der sich und sein Publikum nicht schont. Wer ihm aber beim Hantieren mit seinen Werkzeugen zusieht, spürt seine Sensibilität unter der Bärenhaut. Wer seine Arbeiten genau betrachtet, spürt sie auch.

Eine Retrospektive „40 Jahre Othmar Krenn" ist von 23. Juni (Eröffnung: 20 Uhr) bis 18. Juli im Kulturzentrum bei den Minoriten, Graz, Mariahilferplatz 3, zu sehen.

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