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Digital In Arbeit

Die Not vor der Kamera

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Heide Pils - Autorin des preisgekrönten Fernsehfilmes „Die Frau des Reporters“ , schildert ihre Erfahrungen bei Dreharbeiten während des Bürgerkriegs in El Salvador.

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Heide Pils - Autorin des preisgekrönten Fernsehfilmes „Die Frau des Reporters“ , schildert ihre Erfahrungen bei Dreharbeiten während des Bürgerkriegs in El Salvador.

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Ich erinnere mich an den Februar 1982, als ich zusammen mit meinem Kameramann auf Recherchenreise in Mittelamerika gewesen bin. Wir waren in San Salvador unter anderem auch in einem Flüchtlingslager, das auf dem Fußballplatz des Priesterseminars eingerichtet worden war.

2.000 Menschen, Männer, Frauen und Kinder, die vor den Uberfällen der Militärs aus ihren Dörfern in die Stadt geflohen waren, lebten damals zusammenge-

pfercht in diesem provisorischen Lager, in Hütten, Baracken oder in Hängematten unter freiem Himmel.

Das Lager war weitgehend in Selbstverwaltung organisiert: Frauengruppen bereiteten abwechselnd das Essen zu; es gab Werkstätten, in denen Betten gezimmert, Hängematten geflochten, Jeans repariert und Schuhe gefhckt wurden; im Schatten eines Jacarandabaumes hatte sich eine Schulklasse etabliert, in der Kinder und Erwachsene unterrichtet wurden.

Die Atmosphäre war unaggressiv und freundlich, die Menschen, mit denen wir sprachen, begegneten uns mit Würde und Offenheit. Natürlich war das Lager so elend und bedrückend wie Flüchtlingslager in der Dritten Welt zu sein pflegen — trotzdem: als mein Kameramann und ich wieder draußen waren, haben wir uns angeschaut und festgestellt, daß wir eben eins der positivsten Erlebnisse unserer ganzen Mittelamerika-Reise gehabt hatten.

Wie ist so etwas möghch? Ich muß seither oft an den Titel eines Buches der österreichischen Menschenrechtsaktivistin Hildegard Goss-Mayr denken: „Das Geschenk der Armen an die Reichen“ .

Diese Menschen haben mir tatsächlich etwas geschenkt: nämhch die Erfahrung, daß es — auch oder gerade in solchen Extremsituationen - möglich ist, gewaltlos und sohdarisch zusammenzuleben, auf der Basis eines Christentums, das sich nicht damit begnügt, auf ein besseres Jenseits zu verweisen, sondern die Menschen hier und heute und jetzt aktiviert, für Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Menschenwürde einzutreten, auch wenn dadurch Verfolgung, Gefängnis, Folter und Tod riskiert werden.

Jon de Cortina, ein sal-vadoriani-scher Jesuitenpater, Universitätslehrer und Vorstadtpfarrer, mit dem ich in Verbindung bin, schreibt in einem seiner Briefe: „Ich gehe jeden Sonntag ins Lager, um dort die Messe zu feiern. Es stärkt meinen Glauben, wenn ich sehe, wie diese Menschen, die nur ihre nackte Haut retten konnten, weiterhin für ihre Feinde beten. Es ist meine tiefe Uberzeugung, daß wir von diesen Menschen viel mehr lernen können, als wir sie je zu lehren imstande sind…“

Mir ist schon bewußt, daß es haarscharf an Zynismus und Heuchelei grenzt, mitten in unserem Uberfluß in Rührung zu verfallen über die ach so edlen Flüchtlinge in ihrem Elend. Manchmal kommt es mir auch beinahe obszön vor, die Kamera auf die Not dieser Menschen zu halten, wie ich es in meinen Dokumentarfilmen tue, oder mit Platzpatronen und rotem Sirup eine Situation nachzustellen, die zur gleichen Zeit an anderer Stelle grausame Wirklichkeit ist.

Das alles macht mich ratlos, hilflos, zornig und parteiisch. Soll man es also aufgeben? Natürlich nicht. Natürlich möchte ich weiterhin solche Filme machen, solange man mich läßt oder mir jemand einen Auftrag dazu erteilt.

Aber ich habe beschlossen, mich zu meiner Rat- und Hilflosigkeit, zu meiner Parteilichkeit

“lch habe die europäische Überheblichkeit und Objektivität satt“

und zu meinem Zorn zu bekennen. Ich möchte vom hohen Roß der Überlegenheit eines Angehörigen der Ersten Welt heruntersteigen und mich auf die Augenhöhe der Menschen, von denen ich erzähle, begeben. Und ich möchte, daß man den Filmen, die ich mache, meine Gefühle anmerkt.

Ich habe es satt, von Europäern mit dem totalen Durchblick erklärt zu bekommen, was den Menschen der Dritten Welt nottut; ich habe die europäische Überheblichkeit satt und die sogenannte Objektivität, die zu nichts verpflichtet imd niemandem weh tut.

Ich möchte haben, daß Respekt, Demut und Solidarität, aber auch Hilflosigkeit und Zorn als journalistische und filmische Kriterien akzeptiert werden; und ich wünsche mir, daß dįe Menschen, die solche Filme sehen - meine oder andere, denn ich bin ja nicht die einzige, die so denkt und filmt -, verstehen, was gemeint ist.

Ich wünsche mir, daß Filme, die über die Dritte Welt erzählen, bei den Zuschauern auch das bewirken, wovon Padre Cortina spricht: ,„.. daß wir von diesen Menschen mehr lernen können, als wir sie je zu lehren imstande sind…“

Auszug aus einer Rede der Autorin anläßlich der Auszeichnung ihres Fernsehfilmes mit dem Femsehpreis 87 in Bremen.

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