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Die Schwelle

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Seit wir unsere Türen versperren, geht uns das Empfinden für die Schwelle verloren. Das Schloß hat weitgehend die Schwelle ersetzt. Bei genauerem Bedenken wird der Unterschied deutlich: Das Schloß sperrt aus oder läßt ein — die Schwelle hingegen stellt den Eintritt frei und macht ihn zugleich bewußt.

Die vielen versperrten Kirchen unserer Tage lassen gleich gar keine .JSchwellen-angst“ entstehen. Soweit es heute kirchliche Schwellenängste gibt, haben sie die Falschen — zum Beispiel der dem Glauben entfremdete Christ, wenn er wieder einmal die Kirche betritt, nicht aber der kaugummimampfende Tourist.

In der frühen Kirchenarchitektur maß man der Schwelle vielfach eine hohe Bedeutung zu. Oft durch Stufen oder eine Vorhalle betont, durch einen breiten Fußstein und ein hohes Tor gewichtig gemacht * und manchmal noch durch einen Eingangsbereich nach innen erweitert, bekam der Eintritt in den Kirchenraum eine starke symbolische Bedeutung.

Durch den Brauch des Weihwassernehmens und das Kreuzzeichen wurde man zum Innehalten ermahnt. Erst dann ging man nach vor, machte die Kniebeuge und nahm seinen Platz ein. Wiewohl es sein Gutes haben mag, daß wir uns nicht mehr allzu formalistisch im Kirchenraum verhalten, sollte doch ein bewußtes und respektvolles Eintreten in die Kirche die Regel sein.

Für und gegen die Schwelle als betonte Grenze zwischen Kirche und Welt, zwischen sakral und profan, ließe sich mancherlei sagen. Denn einerseits ist die Kirche natürlich „heiliger Ort“, andrerseits aber auch „Haus der Gemeinde“, zugleich Tempel und Versammlungsraum, also letztlich sakral und profan zugleich. Denn die Welt endet nicht an der Schwelle des Kirchenraumes — und andrerseits ist die ganze Welt ein „göttlicher Bereich“.

Ja sogar, wenn wir der Kirchentür keinerlei abgrenzende Funktion beimessen wollten, bliebe doch der Respekt und die Würde eines Raumes zu wahren, der für viele Menschen ein Symbol für Heiliges ist. (Moslems erwarten mit der größten Selbstverständlichkeit auch von Andersgläubigen Respekt.)

In der jungen Kirche gab es sogar ein eigenes Amt mit Weihe für den Türhüter, den Ostiarier. Und das nicht nur aus Gründen der Sicherheit in Verfolgungszeiten. Man war sich wohl schon früh bewußt, daß mit dem Eintritt in die Gemeinde, in welchem Raum auch immer, die eigene Veränderung riskiert wurde. Die Schwelle zu überschreiten, bedeutet letztlich die eigene Verwandlung.

41. Teil einer Serie über Zeichen und Symbole im Jahreskreis der Kirche.

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