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Die „tolle Fanny“

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1925, sieben Jahre nach ihrem Tode, erschienen zum erstenmal die gesammelten Werke der Gräfin Reventlow im Albert-Langen-Verlag. Zu ihrem 100. Geburtstag hat Albert Längen-Georg Müller eine Neuauflage ihrer Tagebücher herausgebracht, die mit den Jahren 1895 bis 1910 über ihren wichtigsten Lebensabschnitt berichten: die Schwabinger Zeit der Franziska Gräfin zu Reventlow.

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1925, sieben Jahre nach ihrem Tode, erschienen zum erstenmal die gesammelten Werke der Gräfin Reventlow im Albert-Langen-Verlag. Zu ihrem 100. Geburtstag hat Albert Längen-Georg Müller eine Neuauflage ihrer Tagebücher herausgebracht, die mit den Jahren 1895 bis 1910 über ihren wichtigsten Lebensabschnitt berichten: die Schwabinger Zeit der Franziska Gräfin zu Reventlow.

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Ein Zeugnis echter Menschlichkeit, ein „Document humain'“, werden diese Aufzeichnungen oft genannt. Und tatsächlich zeigt sich hier eine Reventlow, der man den charmanten und leichten Plauderton, in dem sie ihre Bücher geschrieben hat, gar nicht zutrauen möchte: einen schwermütigen, oft mit sich selbst zerfallenen Menschen, der sich häufig mit frivoler Munterkeit über schwere Depressionen half.

Es war kein leichtes Leben, das sie geführt hat: geächtet von ihrer Familie, völlig mittellos, sehr oft krank. Wie sie trotzdem immer wieder ihre Euphorien, ihr hochgespanntes Lebensgefühl und ihre Lebensfreude fand, erstaunt. „Ich kann nicht brechen — das ist das

Schlimme“, meint sie über sich selbst. Und „Mich hat der liebe Gott aus allen Widersprüchen geschaffen, die er übrig hatte“.

Widersprüchlich war viel im Leben der „tollen Fanny“, die vom nördlichen Husum fortgelaufen war, um die sittenstrenge Etikette ihrer adeligen Eltern mit einer freien Boheme zu vertauschen: sinnlich und liebesfähig, fand sie dennoch Sinn und Halt nicht in der Liebe, denn Erotik und Geist-Seele standen sich hier ständig im Wege („Ich liebe einen und begehre sechs andere“). Erfüllung fand sie auch nicht in der Kunst, obwohl sie häufig danach verlangte. Aber sie fand sie schließlich in einem Kind, dessen Vater sie bewußt verschwieg, um es ganz für sich allein zu haben.

„Die Gräfin“, wie sie im Schwabing der Jahrhundertwende genannt wurde, hat die Großen ihrer Zeit gekannt, mit vielen war sie eng befreundet, manche hat sie geliebt. Sie hat im Hause Karl Wolfskehls verkehrt, in dem der „Meister“ Stefan George sein berühmtes „Kugelzimmer“ eingerichtet hatte und das zum gesellschaftlichen Mittelpunkt der damaligen künstlerischen Prominenz geworden war. Sie hat die Schwabinger Nächte durchtanzt, als „Mutter und Hetäre“ gefeiert, bewundert und bemitleidet, gelästert und geehrt. Und sie hat dieses Schwabing überliefert, sehr unmittelbar, lebendig und zeitlos. Seine exaltierte Glanzzeit, seine rauschenden Festivitäten, seine Atmosphäre und seinen besonderen Stil. Daß ihr daneben die „Schwabingerei“, wie sie es nannte, im Grunde wenig lag, gehört zu den Paradoxa in ihrem Leben. Die allgemeine Beweihräucherung exklusiver Kreise hat sie durchschaut, und die Ironie, mit der sie große, salbungsvolle Worte persifliert, die charmante Geste, mit der sie so manchen von seinem Pfauenthron herunterholt, sind nicht zu übersehen. Aber sie hat ebenso um das Besondere ihrer Zeit gewußt — und auch, daß der Höhepunkt bereits überschritten war. Wie sehr der berühmte „Schwabinger Krach“, der Bruch Ludwig Klages' und Alfred Schulers mit George und Wolfskehl ihr eigenes Leben betraf, ist in den Tagebüchern nachzulesen.

Aber daß Klages, den sie als einen „Menschen mit Größenwahn und Ichsucht und einem wundervollen Verstand“ bezeichnet hat, gleichzeitig aber auch als den „einzigen Menschen, mit dem ich mich in letzten Tiefen verstanden habe“ mit seinem Antisemitismus und der Theorie von den „blonden Langschädeln“ kommende, böse Ereignisse vorweggenommen hat, konnte sie nicht ahnen.

Denn er ist es gleichzeitig gewesen, der ihr zu der nötigen Disziplin verhalf, mit der sie ihre Bücher schrieb. Sein Versuch, sie ganz in die abstrakten Höhen des Geistes zu führen, mußte allerdings fehlschlagen. Dazu war sie zu sinnlich, zu daseinsbezogen. „Gerade das ganz oberflächliche Amüsieren ist auch etwas, was ich brauche — toben, toben... mit ihm, Klages, bin ich wieder in einer ganz anderen Welt.“

Dem Augenblick verhaftet, hat sie es auch nie verstanden, irgend etwas in ihrem Leben zu planen, und das Geplante dann durchzuführen. Sie konnte sich's nicht richten und das ist auch der Grund, warum sie zeit ihres Lebens die finanziellen Probleme nicht bewältigt hat. Für die Selbstverwirklichung in der freien Liebe hat sie gekämpft; die Selbstverwirklichung der Frau in der Gesellschaft überließ sie den Frauenrechtlerinnen, zu denen sie keine wirkliche Beziehung besaß, die sie vielmehr als „zu geistig tun wollend“ eher abgelehnt hat.

In den Tagebüchern, diesen sehr persönlichen, sehr subjektiven, unter dem Druck inneren Erlebens oft skizzenhaft hingeschleuderten Aufzeichnungen wird es deutlich, daß sich die eigentliche Genialität dieser Frau gar nicht in ihren Romanen ausdrückt — so liebenswürdig und klug sie auch geschrieben sein mögen — sondern in ihrem ganzen, komplexen Leben, in das sie sich hineinwarf wie in eine Aufforderung: Es bis in seine letzten Möglichkeiten hinein auszukosten, hat sie sich zum Gebot gemacht.

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