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Ein Stück zuviel

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Was in Hans Gratzers Schauspielhaus bisher zu sehen war, glich einem Pas de deux. Engagement tanzt mit einem Hang zu allem, was gerade fesch ist. Das kann zu respektablen Ergebnissen fuhren (Poliakoff), aber auch zu zwiespältigen (Genets „Balkon“), im Extremfall auch dazu, daß ein verlogener Schmarren bejubelt wird („Alte Flammen“).

Stephen Poliakoff ist 24 und hat acht Stücke geschrieben. Drei waren in einem sechsstündigen Theater-Marathon zu sehen, zwei davon deutschsprachige Erstaufführungen. Wer bis ein Uhr früh aushielt, war nicht nur müde, sondern weiß jetzt auch, daß Poliakoff tatsächlich einer der interessantesten jungen Theaterautoren unserer Zeit ist. Er war selbst da und man lernte einen (viel älter aussehenden) Mann kennen, dessen Sensibilität für gesellschaftliche Entwicklungen sich nicht nur in seinen Stücken ausdrückt. Ein ernster, aber temperamentvoller Mann, einer, der schnell spricht, aber immer weiß, was er sagt.

Er wußte es auch, als er sein jüngstes Stück schrieb, „Strawberry Fields“, eine Warnung vor dem in England rapid anwachsenden Rassismus. Eine Warnung? Poliakoff bot noch nie „Aussagen“, stets „Zustandsschilde-rungen“, und blieb dem auch in seinem ersten politischen Stück treu. Die Ursachen bleiben außer Betracht, dafür wird, beklemmend realistisch, eine junge Dame aus bestem Haus als neurotisch zwanghaft, aber politisch -mit der Pistole - Handelnde vorgeführt. Das Publikum war von der Leistung der Hauptdarstellerin (Gertrud Roll) beeindruckt, aber vom Stück wenig berührt.

„City Sugar“ hat Züge einer beißenden Satire auf Plattengeschäft, Disc-jockeys und Kommerzrundfunk, geht aber darüber hinaus. Zwischen witzigen Uberdrehungen wird schwarze Öde sichtbar, jenseits des Wunsches, hinaufzukommen, nichts, was die Discjockeys, jenseits der Faszination durch Pop-Bands und Disjockeys nichts, was die beiden kleinen Verkäuferinnen antreibt, interessiert, bewegt. Deren Desillusionierung ist folgerichtig am Ende perfekt.

In „Hitting Town“ findet sogar so etwas wie ein Aufbegehren statt, aber das geht im Kreis und kommt an kein Ziel - Poliakoff ist der Autor einer Generation, für die die Studentenrevolte Geschichte ist wie der Zweite Weltkrieg. Bruder und Schwester finden in der Betonwildnis etwas Halt aneinander, aber die inzestuöse Begegnung gleicht dem Umsteigen von einem Strohhalm auf einen Rettungsring. „Hitting Town“ ist das sprödeste und schönste der gezeigten drei Stücke von Poliakoff, dessen Erfolg auf der Genauigkeit seiner Beobachtung und auf der weitgehenden Identifikationsmöglichkeit beruht, einmal ganz abgesehen von der kunstvollen Kunstlosig-keit seiner Dialoge und deren versteckter Poesie.

„Alte Flammen“ von E. A. Whitehead kann man hingegen sofort vergessen, nachdem man sich geärgert oder gelangweilt hat, je nachdem, wie man auf einen „Dialog“ reagiert, der über weite Strecken wenig mehr ist als ein Schwall von pseudokritischen Phrasen und Trivialausdrücken aus dem Genitalbereich. Zwei Ex-Ehe-

frauen, eine neue „Flamme“ und die Mammi eines hier als Mann ausgegebenen Kleiderständers unsympathischer Eigenschaften fressen denselben zum Dinner auf, „befreien“ sich, indem sie noch ein .Glaserl von seinem Blut zu sich nehmen und tüchtig schweinigeln, gehen nach Hause und lassen das Publikum mit der bangen Frage zurück, ob der weiberkonsumierende Mann oder das menschenfresserische Weib denunziert werden sollte. Vermutlich sollte gar nichts denunziert, sondern nur auf die Angst des Publikums (und vielleicht auch der Theatermacher) spekuliert werden, anderen oder sich selbst unmodern zu erscheinen.

Die Rechnung geht auf. Die guten Leute tun so, als hätte es ihnen gefallen, und vielleicht hat es das auch. Aber der Applaus war gar nicht so laut, wie er klang, denn die Bravo-Schreier im Hintergrund waren Gratzer-Man-nen. Derlei riecht nach Selbstbeweihräucherung und überdeckt die für jedes Theater wichtige Spontanreaktion des Publikums. Gratzer sollte über solche Tricks erhaben sein und hätte sie auch gar nicht nötig.

Sein Ensemble ist eine Ansammlung teils schon jetzt sehr guter, teils entwicklungsfähiger Leute, und einige bewiesen in den sechs Premieren einer Woche imponierende Wandlungsfähigkeit. Julia Gschnitzer wurde so diametral entgegengesetzten Rollen wie der „Irma“ im „Balkon“, der schrulligen Mrs. Roberts in „Strawberry Fields“ und der Mutter in den (insgesamt hervorragend gespielten) „Alten Flammen“ gerecht. Ebenfalls dreimal zu sehen, im „Balkon“ als Chantal, in „Hitting Town“ sehr zurückgenommen, verhalten und glaubwürdig, Johanna Tomek. Vicky Weinmann profiliert sich als köstliche Spezialistin für überdrehte Typen, Maria Bill versteht sich auf junge Frauen und Mädchen zwischen Verlorenheit und Emanzipation. Christian Ingomar ist ein beklemmend echter Discjockey, er muß tagelang ö 3 gehört haben, Bernd Spitzer wird in „Hitting Town“ zum Prototyp des ausgeflippten jungen Mannes, dem die Kraft, vor allem aber das Ziel zum aggressiven Aufbäumen fehlt. Regiemäßig fallen jene Produktionen, für die das Stückensemble verantwortlich zeichnet, gegenüber den von einzelnen Regisseuren geleiteten („Strawberry Fields“: Zoltan Pataky, „City Sugar“: Roger Murbach) in keiner Weise ab. Den meisten nicht genannten Mitwirkenden ist Gleichwertigkeit oder Fast-Gleichwertigkeit zu bescheinigen.

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