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Ein Werk gegen Gott Mars

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Miroslav Krleza ist neben dem kroatischen Nobelpreisträger Ivo Andric der bedeutendste Repräsentant der „jugoslawischen” Literatur. Erst 1981 ist der wortgewaltige kroatische Mahner aus dem Leben geschieden. Sein hin-terlassenes Lebenswerk ist gerade jetzt zeitnaher denn je.

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Miroslav Krleza ist neben dem kroatischen Nobelpreisträger Ivo Andric der bedeutendste Repräsentant der „jugoslawischen” Literatur. Erst 1981 ist der wortgewaltige kroatische Mahner aus dem Leben geschieden. Sein hin-terlassenes Lebenswerk ist gerade jetzt zeitnaher denn je.

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In der damals zur österreichischungarischen Monarchie gehörenden Stadt Agram wurde Krleza am 7. Juli 1893 - also vor 100 Jahren - als Sohn eines Polizeioberwachtmeisters geboren, der ihn zunächst für die militärische Karriere bestimmte. 1908 trat er in die Kadettenschule in Pees ein, 1911 ”in die Budapester Militärakademie Ludoviceum. Im Ersten Weltkrieg arbeitete Krleza als Journalist.

Miroslav Krleza war ein streitbarer Humanist, hochgebildet und unange-paßt, der mit seiner Sozialrevolutionären Gesinnung großen Einfluß auf die Jugend hatte. Er hinterließ meisterliche, äußerst realistisch gestaltete Romane, Erzählungen, Verse, Dramen, Essays und publizistische Schriften. Erst nach dem Bruch Titos mit Stalin kam Krleza mit seinem Konzept einer linken, jedoch keinem ästhetischen Dogma unterworfenen Kunst zum Zuge. Werk und Persönlichkeit dieses enzyklopädischen Geistes haben in Jugoslawien einer ganzen Epoche das Gepräge gegeben.

Noch während des Ersten Weltkrieges und kurz danach entstanden seine „Geschichten gegen den Krieg” -1922 zusammengefaßt unter dem Titel „Der kroatische Gott Mars”. In ihrer dokumentarischen Realistik und leidenschaftlichen Polemik für die Würde des Menschen, sind das eindrucksvolle Erzählungen mit einer eigenartigen Poesie, in denen Krleza das operettenhaft verlogene Bild des Krieges mit Trompetenschall und Säbelblinken und den „vaterländisch-hehren Zielen”, dessen erbärmliche und barbarische Wirklichkeit im Dreck der Etappe, in den Kasernen und Lazaretten gegenüberstellt.

Krleza zeigt eine tiefe Solidarität mit den Honveds, den ungarischen Vaterlandsverteidigern, den verachteten, namenlosen, gemeinen kroatischen und ungarischen Landwehrsoldaten, die den Krieg nicht wollten und mit Kolbenhieben aus ihren Dörfern in die k.u.k. Armee geprügelt wurden, um auf fremden, im Schlamm versinkenden Kasernenhöfen das Schießen und Begreifen zu lernen, daß sie nichts sind, nichts, weniger als das lahmende Pferd eines Oberleutnants. Krlezas Worte: „... denen der eigene Hauptmann mehr feind ist als die ebenso armen Teufel auf der anderen Seite des Schützengrabens. Sie werden fallen, und niemand wird je wissen, daß sie gelebt haben...”

Immer für andere gekämpft

„Die sogenannten .höheren Gesichtspunkte'”, schrieb Krleza 1922, „sind eine große Lüge, die den Krieg allen unschuldig Leidenden verständlich machen sollen. Jahrhunderte hindurch mußten die Kroaten an Kriegen teilnehmen, die nur für die Türken, die Ungarn, die Habsburger sinnvoll waren. Durch eine schicksalhafte Konstellation standen sie im Ersten Weltkrieg auf der Seite der Mittelmächte. Ihre jeweiligen Herrscher bestimmten immer, auf welcher Seite sie kämpfen mußten...”

In seiner „Kaiserlich-königlichen Honved-Novelle”, in der ein gereizter, vom Frösteln der Verkaterung geschüttelter Offizier seine Truppe schleift, legt Krleza das ganze Sozialgefüge der k.u.k. Armee, zumindest ihrer ungarisch-kroatischen Regimenter, bloß. Die Verachtung, die Krleza für die Herren Leutnant Gustl und Rittmeister von und zu empfindet, könnte größer nicht sein. Er gestaltet die staatstragenden k.u.k. Offiziere nicht als wechselseitig champanisie-rende und verkaterte Feschaks, sondern „voll nervöser Gier, zu gefallen und befördert zu werden, unfähig mit ihrem Leben auch nur einmal etwas Vernünftiges anzufangen, brechen sie aus öd dahinsumpfenden Garnisonsabenteuern, Triumphen als Exerzierplatztyrannen, Casinoräuschen aus und führen die letzten Tage der Menschheit herbei.”

Der einstige k.u.k. Kadett Krleza hat sich ein schriftstellerisches Leben lang mit Österreich, mit der auseinandergebrochenen Monarchie der Habsburger, mit Anspruch und Wirklichkeit des k.u.k. Staatsgebildes auseinandergesetzt. Im Reiche der Kultur, Zweigstelle Wien, hat man ihn zum „kroatischen Karl Kraus” ernannt. Friedrich Torberg bezeichnete ihn als „altösterreichischen Rebellen; Rebell und Kommunist, aber von harmlos-pannonischer Verstiegenheit.”

Deutscher Kritik zum Trotz

Zweifellos war es unter allen österreichischen Dichtern tatsächlich Karl Kraus, den Krleza am meisten geschätzt hat. Der kompromißlose

Kampf gegen Kriegstreiber und Kriegsgewinnler, und der Wunsch, dieser „großen Zeit” der großen Verbrechen ein unbestochener Zeuge zu sein, verband ihn - sowie die gewaltige Rhetorik und Sprachmacht - gewiß mit ihm. Eine begeisterte Besprechung, die Krleza 1930 über Karl Kraus' Stück „Die letzten Tage der Menschheit” schrieb, übersetzte Kraus ins Deutsche und druckte sie in der „Fackel” ab. Bei Vortragstourneen, die Karl Kraus durch Deutschland unternahm, stellte er diese Besprechung Krlezas regelmäßig seinen Vorlesungen voran, „der deutschen Kritik zum Trotz”, wie er sagte.

Der satirische und polemische Zug ist bei Krleza besonders stark ausgeprägt. Zwischen den beiden Weltkriegen, in den zwanziger Jahren, gründete er hintereinander vier kämpferische Zeitschriften, die vom jugoslawischen Regime immer wieder verboten wurden, ebenso auch die Aufführung seiner Stücke. Die vier Zeitschriften waren „Die Flamme” 1919, „Die literarische Republik” 1923, „Heute” 1934 und „Das Siegel” 1939. Der politische Standpunkt, den er in diesen Zeitschriften vertrat, war ein undogmatischer Marxismus in eigenwilliger Interpretation.

Mitten im Zweiten Weltkrieg, in den Jahren 1942 und 1943, schrieb er in einem von Gestapo und Ustaschi zugleich überwachten Hausarrest, den ihm das faschistische Regime des unabhängigen Staates Kroatien von Hitlers Gnaden diktierte, ein Tagebuch, in dem er nicht nur die blutigen Ereignisse jener unmenschlichen Zeit aufzeichnete, sondern sich auch damit beschäftigte, seinen Ursprüngen nachzugehen. In diesem Zusammenhang entstand damals, 100 Seiten stark, seine „Kindheit in Agram”. Krleza erzählt darin von der streng religiösen Erziehung, die ihm in seiner Kindheit zuteil wurde. Das Schauspiel der kirchlichen Zeremonien hat ihn als Kind so fasziniert, daß er noch in seinem Elternhaus auf einem improvisierten Altar Messe spielte und sich später eifrig als Ministrant betätigte.

1912, bei Ausbruch des Balkankrieges, ging er aus nationaler Opposition nach Belgrad, um sich der serbischen Armee im Krieg gegen die Türken anzuschließen. Von den Serben wurde er jedoch als österreichischer Spion verdächtigt und wieder nach Ungarn abgeschoben. 1914 wurde er eingezogen und machte in der k.u.k. Armee an der russischen Front den Ersten Weltkrieg mit.

1945, nach Jahren erzwungenem Schweigens, wandte sich Miroslav Krleza mit einem fulminanten Essay an die Öffentlichkeit. Sein Entwurf einer sozialistischen, aber nicht parteipflichtigen Kunst, einer gesellschaftskritischen, aber nicht ideologisch verschnittenen Literatur, hatte ihm in den dreißiger Jahren nach dem Haß der konservativen - gefährlicher noch - den der stalinistischen Kulturverweser eingetragen, die Jagd auf Abweichler in den eigenen Reihen machte. Was er nun in kämpferisch-streitbaren Essays zur Kultur und Kulturpolitik forderte, entzündete zwar sogleich wieder die alte kalte Bürokratenwut gegen ihn, trotzdem konnte sich Krleza, zwar beschimpft und bedroht, aber dennoch behaupten.

Gedächtnis der Nation

„Unser Volk”, meinte er 1945 in .Literatur heute”, „unser Volk, das an fremden Herden und fremden Tischen Almosen aus fremder Hand empfangen hat, jahrhundertelang hungrig und nackt wie Vieh, das fremde Herren geschoren und gehäutet haben, ist das Thema unserer Literatur.”

Ab 1945 gab Krleza in Zagreb die Zeitschrift „Republika” heraus und bekleidete das Amt des Vizepräsidenten der Jugoslawischen Akademie der Wissenschaft. Krlezas immer waches, vielfältiges Interesse galt jedoch nicht nur den Zeitereignissen. Er schrieb auch Aufsätze über weit auseinanderliegende Themen; über Kant, Kleist, über die südslawische Malerei des Mittelalters, die Grabsteine der Bogumilen, über kroatische und ungarische Geschichte, über medizinische Themen und Meditationen über Asien und Europa. Doch darin erschöpfte sich Krlezas Wirken noch nicht. Er ist auch immer wieder al s Lyriker von erstaunlicher Kraft und Vielfalt hervorgetreten, als Autor vehement polemischer Gedichte und als Dichter der„Balladen des Petrica Kerempuh”, die in altkroatischem Bauerndialekt abgefaßt sind.

Krlezas Geschichten und Erzählungen sind beißende Satiren auf den Kriegsdienst, auf den „Idiotismus von Leuten, die auf dem Standpunkt stehen: möglichst wenig Talent und möglichst viel Pflichtgefühl, die den Intellekt verachten, Außenseiter ausschließen und ihren Säbel, ihr Mordwerkzeug, allem Nachdenken vorziehen.”

Krlezas mitreißende Anklage gegen den Krieg hat bis heute nichts von ihrer Unmittelbarkeit und suggestiven Wirkung eingebüßt und nichts von ihrer Notwendigkeit verloren.

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