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MIROSLAV KRLEZA/HUMANIST UND POLEMIKER

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Der Kroate Miroslav Krleza, neben Ivo Andric Jugoslawiens be-deutenster Autor, feiert dieser Tage seinen 70. Geburtstag. In Jugoslawien bereits anerkannt und geschätzt, begann sein internationaler Ruhm erst spät zu wachsen. Heute, da Übersetzungen seiner Werke in mehr als einem Dutzend Sprachen, von der spanischen bis zur schwedischen, vorliegen, vergleicht die Literaturkritik Krleza mit Celine und Henry Miller. Sie zählt ihn zu den. großen Revolutionären der zeit-

genössischen Dichtung, und dies, obwohl von seinem umfangreichen Werk erst Teile — einige Romane und Sammelbände mit Erzählungen — in Übersetzungen vorliegen.

Das Gesamtwerk Krlezas umfaßt bisher sechunddreißig Bände: Romane, Erzählungen, Gedichte, Theaterstücke und Essays. Sein größter Roman ist wohl „Bankett in Blitwien“, dessen deutsche und französische Übersetzungen im Herbst vorliegen werden. An einem weiteren großen Roman, „Fahnen“, arbeitet der Dichter noch. International am bekanntesten geworden sind die beiden aus den dreißiger Jahren stammenden Romane „Die Rückkehr des Philip Latinovicz“ und „Ohne mich“, mit denen eine neue Landschaft in die Geographie der europäischen Dichtung gekommen ist: die kroatische Provinz mit ihrer Melancholie, mit der Schläfrigkeit ihrer Dörfer und der spießbürgerlichen Enge ihrer Städte. Diese Landschaft wird zum Schauplatz intellektueller Verzweiflung und nonkonformistischer Auflehnung der Helden seiner Romane.

Krlela kennt keinen Kompromiß und keine Halbheiten. Seinem Werk liegt eine intellektuelle Ehrlichkeit zugrunde: in geschliffenen Dialogen attackiert er die scheinheilige bürgerliche Reputation und die distin-

guierte Dummheit, ebenso verachtet er jedoch auch die proletarische Gesellschaftsideologie.

Es gibt kaum ein Thema, das Krleia nicht behandelt hätte. Seinem grenzenlosen schöpferischen Fleiß kommt eine außerordentliche Gelehrsamkeit zugute, ist er doch Humanist, aber zugleich ein geistreicher und unerschrockener Polemiker, < der über Lenin, Revolution und Krieg genau so zu sprechen weiß wie über Goya, Proust, Shaw und Rilke.

Krleza wurde 1893 in Agram geboren. Zum Offizier bestimmt, besuchte er die Kadettenschule in Fünfkirchen und die Ludovica-Militärakademie in Budapest, diente im ersten Weltkrieg als Honvedoffizier und kämpfte — wie seine einsamen Helden — in den Jahren zwischen den Kriegen gegen gesellschaftliche Mißstände und geistige Trägheit im Königreich Jugoslawien. Seit 1945 ist Krleza Direktor des lexikographischen Institutes in Agram und Herausgeber bedeutender Enzyklopädien.

Er ist ein unbequemer Autor. In einem Aufsatz über die Bogumilen-Gräber auf den einsamen Hochflächen Bosniens warf er ganz Europa vor, viel zu wenig über diesen kulturträchtigen Balkanraum zu wissen. Aus diesem Raum

aber schöpft Krleia Kraft und Inspiration für seine scharfsinnigen Auseinandersetzungen mit politischen Situationen und Systemen, die schließlich in der Erkenntnis gipfeln: „Eine Schachtel voll Bleibuchstaben, und das ist nicht viel, aber es ist das einzige, was der Mensch bis heute erfunden hat als Waffe zur Verteidigung seiner Menschenwürde.“

Seine sprachliche Imagination reicht vom Detail einer Dorfstraße, eines Kleinstadtmilieus, zur unbestechlichen Darstellung gesellschaftlicher Lügen und zu Wortkaskaden von Klage und Anklage menschlichen Wahnsinns, des Krieges, der Ausbeutung, des totalen Herrschaftsanspruches. Seine gewaltigen Wortgemälde, wie jenes von der Konfrontation der Besucher mit Michelangelos „Jüngstem Gericht“ im Vatikan — in seinem Roman „Ohne mich“ — sein Vergleich des Krieges mit einem Provinzzirkus, aber ebenso die Lebensbeichte einer desillusionierten Frau in einem Nachtcafi oder die Philosophie eines eingesperrten kroatischen Wilderers gehören zu den Szenen großer moderner Prosa.

Die Bedeutung Miroslav Krlezas wird heute schon von vielen erkannt, sie wird morgen ein Begriff sein.

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