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Eine Debatte am Bodensee
Man merke sich die Zusammenhänge. Die Zusammenhänge sind wichtig. Denn einerseits wird durch die TV, das Radio, die weltweite Wirkung der großen Verlage die Literatur vereinheitlicht, andererseits aber regen sich plötzlich die Tal- schaften, die Dialekte, die bodenständigen Besonderheiten, die kleinen Regionen. Die Vereinheitlichung ist augenscheinlich. Die Verunein- heitlichung ebenfalls. Und wie hängen die beiden Strömungen nun zusammen?
Die Frage klingt, ich gebe es zu, ein wenig abstrakt, aber bei näherer Betrach-
tung entdeckt man auch in dieser literarischen Diskussion jenen wunden Punkt, der uns alle so sehr quält, daß wir uns gezwungen sehen, über die Gegensatzpaare Künstlich-Natürlich, Weltweit-Lokal, Hochkultur-Volkskultur, Technisierung-Kultivierung nachzudenken.
Und wir dachten wirklich nach, und zwar öffentlich, auf Einladung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, zwei Tage lang, in Konstanz; wir dachten nach, argumentierten, plauderten, diskutierten und manchmal stritten wir sogar, denn Literaten sind, wenn es um ihre geheiligten Theorien geht, oft humorlos.
Sechzig Leute sitzen im Saal eines Hotels und debattieren über das Wesen literarischer Regionen? Ja, so war es. Und am Ende waren wir zwar nicht viel gescheiter, aber wir sahen deutlicher, was in uns und um uns herum vorgeht: in Zeiten der Krise will der Mensch wenigstens sein eigenes überschaubares Umfeld klar sehen, will sich nicht fremden Abstraktionen anvertrauen, sondern sich an den beiden ursprünglichen Kräften seiner Existenz orientieren. Sie heißen: handfeste Wirklichkeit und individuelles Träumen.
Zur Belebung der Diskussion hatte man ein paar Literaten an den langen Tisch gesetzt, und sie produzierten unter der behutsamen Gesprächsleitung von Alexander Giese in der Tat manche Variationen zum Thema: der Schriftsteller Hugo Lötscher aus Zürich präsentierte eine geistreiche Analyse,.die Germanisten Manfred Gsteiger aus Neufchätel und Thomas Rothschild aus Stuttgart ritten vehemente Attacken gegen die einschlägige Sprachverwirrung, der Verleger Hans Altenhein aus Darmstadt fand, daß die Literatur nicht aus Regionen, sondern aus Individuen besteht, Günther Nenning aus Wien äußerte sich leise und dezidiert über die Weltfremdheit der Theoretiker, und ich versuchte, die Aufmerksamkeit auf eine besondere Region zu lenken: auf die Literatur der ehemaligen römischen Provinz Pannonien.
In einem Punkt waren wir uns alle einig: Gute und wichtige Literatur entsteht auch in den Regionen, ja, die Weltliteratur besteht vor allem aus den Werken regional verwurzelter Autoren. Wie aber werden sie in anderen Regionen bekannt? Mit dieser Frage ging aber der Ball an die Veranstalter zurück.
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