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... einwandern in die Kirche?

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FURCHE: Die österreichischen Bischöfe haben in ihrer Frühjahrstagung das Problem der Seelsorge für kirchlich distanzierte Christen behandelt und festgestellt, daß Aufgabe der Seelsorge die Sorge für alle Menschen und Christen ist. Die Bischöfe erwarten von den Katholiken, daß sie sich missionarisch um ihre Mitchristen sorgen. Nun ist es ein Faktum, daß die Zahl der „kirchlich distanzierten Christen“ nicht abgenommen, sondern sogar zugenommen hat. Anlaß genug zu fragen: Ist eine Einteilung der Christen in ,ferne“ und „nahe“ überhaupt sinnvoll?

KRAXNER: Es geht um das konkrete Faktum, daß viele Katholiken entweder nur partiell am kirchlichen, liturgischen Leben teilnehmen, oder Glaubensüberzeugungen und sittliche Normen, die die Kirche als verbindlich erklärt, nur teüweise für sich akzeptieren. Wobei der Grad der Distanziertheit sehr unterschiedlich ist und sich keine klare Linie ziehen läßt zwischen den „Fernstehenden“ und den Praktizierenden.

FURCHE: In der Nachkriegszeit gab es eine starke missionarische Bewegung, um Fernstehende zurückzugewinnen. Das Buch „Frankreich ist Missionsland“ hatte nicht nur in Frankreich große Wirkung. Auch im Programm der Katholischen Hochschulgemeinde Österreichs fand sich die .Missionierung“ der Hochschule als selbstverständliche Aufgabe. Warumsind diese Bemühungen in eine Krise geraten?

KRAXNER: Die Ursachen sind vielfältig. Zunächst waren die Erfolge trotz hohen Einsatzes etwa der Arbeitspriester nicht groß. Viele Christen wurden selbst in ihrer Position verunsichert. Sie fragten sich: Liegt die Ursache des Mißerfolgs an der Unangepaßtheit der Kirche an die heutigen Zeitverhältnisse? Steht nicht die Kirche den Menschen fern? Muß nicht sie sich verändern? So trat gegenüber der Forderung des „aggiornamento“ -der Anpassung der Kirche an die Zeit- und Lebensverhältnisse - der Gedanke der „Rückgewinnung der Fernstehenden“ zurück.

Auch die Erklärung des Konzüs zur Religionsfreiheit, die Forderung der Toleranz, die Anerkennung der positiven Werte in den übrigen Religionen und die Theorie vom „anonymen Christen“ hatten ihre Auswirkung. Sie wurden entweder als Widerspruch gegen Mission überhaupt empfunden oder ließen zumindest diese Aufgabe als nicht mehr so vordringlich erscheinen.

Ferner führte die Betonung der „Gemeindekirche“ mitunter zu einer Abwertung der „volkskirchlichen Reste“. Es wurde von manchen Theologen sogar eine „Pastorale du choc“ (G. Michonneau) vertreten. Man solle speziell bei Taufe oder Trauung die Fernstehenden vor die Entscheidung stellen und bei unklaren Verhältnissen die Spendung der Sakramente verweigern.

Gegenwärtig befinden wir uns wieder in einer Phase der Aufwer-

tung der Fernstehenden. Es wird ihre noch vorhandene Verbundenheit mit der Kirche und dem christlichen Glauben herausgestellt

FURCHE: Wird durch derartig pluriforme Einstellungen und pa-storale Zielsetzungen eine wirksame Seelsorge nicht erschwert und behindert? Wäre hier nicht eine Klärung dringend nötig?

KRAXNER: Ich glaube, daß sich die Seelsorge an den kirchlich distanzierten Christen zwischen zwei Leitlinien zu bewegen hat; die eine heißt, dem Menschen gerecht werden, die andere, den Anforderungen des Glaubens gerecht werden!

Dem Menschen gerecht werden: Die Glaubenssituation der Fernstehenden ist sehr differenziert. Eine erste Forderung wird daher sein, diese differenzierte Situation kennenzulernen und schablonenhafte Beurteüungen zu vermeiden. Dem Menschen gerecht werden kann nur der, der ihn zu verstehen sucht, und die Ursachen und Hintergründe des Fernstehens zu erkennen strebt. Umwelt und Erziehung haben in diesen Fragen eine immense Bedeutung.

Den Anforderungen des Glaubens gerecht zu werden, ist die komplementäre Forderung.

Den Anforderungen des Glaubens gerecht werden, bedeutet auch, den Glauben mit seinen eigentlichen Inhalten und Ansprüchen zu verkünden. Ein Christentum zu niedrigen Preisen ist dabei keine Lösung.

FURCHE: Die Vorgänge der zunehmenden Entfremdung von der Kirche waren seinerzeit mit Ursache dafür, daß die Katholische Aktion gegründet wurde. Auch heute soll und will die KA ein so schwerwiegendes Problem ernst nehmen und sich engagieren. Welche Aufgaben sehen Sie in diesem Zwsammen-hang für die KA als vordringlich an?

KRAXNER: Die KA kann etwas für die Fernstehenden tun und ist tatsächlich unersetzlich, wenn sich ihre Mitglieder nicht in den innerkirchlichen Raum oder ins Getto flüchten, sondern in der Welt bleiben, in der sie leben und arbeiten. Dort können sie Fernstehenden begegnen; von ihnen lernen, auf sie wirken.

Die Katholische Aktion soll sich auch der Frage stellen: Wie kann einer, der „draußen“ steht, in die Kirche einwandern? Viele Pfarreien und Gruppen sind - das muß man offen zugeben - nicht oder kaum fähig, solche Menschen aufzunehmen. Die KA müßte offene Gruppen büden, durch die Fernstehende in die Kirche einwandern können. In diesen Gruppen müßte sie ein Zweifaches anstreben: vor allem ein offenes Klima; wer einwandert, soll sich zu Hause fühlen können und soll nichts Gutes, das er in seiher bisherigen Welt kennengelernt hat, draußen lassen müssen. Andererseits soll er das finden können, was er sucht, den christlichen Glauben.

Das Gespräch mit P. Prov. Dr. Alois Kraxner führte Dr. Fritz Wolfram.

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