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Er glaubte an eine bessere Welt

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Da auf ausdrücklichen Wunsch von Frau Adrienne Gessner am Grab Ernst Lothars nur ein einziger Redner das Wort nehmen sollte, blieb die nachfolgende Rede des Präsidenten des Österreichischen PEN-Clubs ungesprochen. Sie erscheint nun hier im Druck. Emst Schönwiese hatte übrigens in dem Jahrzehnt nach dem Krieg in dem seiner Zeitschrift „das silberboot“ angeschlossenen gleichnamigen Salzburger Verlag die drei Hauptwerke Ernst Lothars: „Der Engel mit der Posaune“, „Die Rückkehr“ und „Die Mühle der Gerechtigkeit“ herausgebracht. F.

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Da auf ausdrücklichen Wunsch von Frau Adrienne Gessner am Grab Ernst Lothars nur ein einziger Redner das Wort nehmen sollte, blieb die nachfolgende Rede des Präsidenten des Österreichischen PEN-Clubs ungesprochen. Sie erscheint nun hier im Druck. Emst Schönwiese hatte übrigens in dem Jahrzehnt nach dem Krieg in dem seiner Zeitschrift „das silberboot“ angeschlossenen gleichnamigen Salzburger Verlag die drei Hauptwerke Ernst Lothars: „Der Engel mit der Posaune“, „Die Rückkehr“ und „Die Mühle der Gerechtigkeit“ herausgebracht. F.

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Namens des österreichischen PEN- Cliubs, dessen Gründungsmitglied Emst Lothar war, nehme ioh Abschied von dem Manne, auf dessen Rat und tätige Anteilnahme wir immer zählen konnten und die uns nun so schmerzlich fehlen werden. Vom Dichter und Schriftsteller, vom Theatermann und Regisseur wurde und wird gesprochen werden; ich möchte des Menschen gedenken, jener entscheidenden Wesenszüge, die seine vielfältigen Aktivitäten verbunden und zusammengehalten haben und die von der gleichen Geisteshaltung geprägt waren, die auch in der PEN-Charta und den in ihr niedergelegten Prinzipien ihren Ausdruck gefunden hat. An die Spitze eines seiner Bücher hat er den Satz Platos gestellt: „Wenn ihr das Wort nehmt, dann sei es, um zu warnen, zu rühmen, zu lernen. Verantwortung zu fordern und zu geben.“ Das war der Lebensbefehl, unter den all seine Wirksamkeit gestellt war. Was er einmal von einem anderen Autor gesagt hatte, gilt auch für ihn: „Er war ein großer Romancier und ein noch größerer Europäer. Er schrieb, woran er glaubte, und er glaubte an die Demokratie der besseren Welt.“

Nicht von der „heilen Welt“ sprach er, wiewohl er genau wußte, daß sie auch heute noch im Herzen jedes einzelnen möglich ist, sondern bescheidener, lebensnaher und weiser: von der „besseren Welt“. Und gegenüber jedem zur bloßen Mühle gewordenen Gerechtigkeitsbetrieb trat er für die wahre Gerechtigkeit des immer wachen, begreifenden, verstehenden, lebendig schlagenden Heraens ein. So blieb er zeit seines Lebens „zugeschworen der Souveränität und Unantastbarkeit des Menschen“, was, wie zu erwarten war, nicht ohne allerlei bittere Erfahrungen abgehen konnte.

Das Schicksal der Emigration, des Exils und der schließlichen Heimkehr hat er, wie kaum ein anderer, geschildert: In großen und großartigen Romanen ebenso wie in jenem Gedicht von 1938 zum ersten Weihnachtsabend in der Fremde:

Jetzt sind wir von allem verlassen, Das je uns einte und schied.

Wir Bettler in fremden Gassen,

Wann lernen wir, endlich zu hassen Das Land, das uns verriet…?

Man kann den Menschen fluchen, Nicht Wiesen, Bächen und Wind.

So werden wir überall suchen Die Linden, die Birken, die Buchen, Die nur daheim grün sind.

Was kann sie uns gewähren,

Die fremde, die Welt von Stein?

Die Hoffnung, wiederzukehren Vom Festland und den Meeren Und wieder daheim zu sein…

In diesen drei Strophen des Gedichts ist schon alles enthalten, was sr dann später in den Romanen gestaltet hat: das Ausgestoßensein, das Nicht-hassen-Kömnen und die Sehnsucht, wieder daheim zu sein.

Der überzeugte Österreicher, der Emst Lothar war, hatte von seinem ganz und gar nicht etwa engstirnig provinziellen, sondern sehr europäischen, weltoffenen östeireiohertum bekannt: „Alles andere blieb Beiwerk meiner Existenz. Beruf, vielleicht sogar Berufung, Abenteuer, Erfolg, versäumte und genützte Möglichkeiten, Enttäuschung, Wirken in Werken — alles blieb Beiwerk. Auf Österreich gründete es sich oder stürzte, auf ein einziges Land, ob besser, ob schlechter als andere, blieb gleichgültig.“ — Ein für den Menschen wie den Autor ebenso aufschlußreiches wie rührendes Bekenntnis!

Die letzten Sätze seines letzten Buches — ehe er es mit einem Stifter-Zitat schließt — lauten: .Mein eigenes Leben: ich würde es nicht wiederleben wollen. Zu Zeiten aber habe ich es enthusiastisch gern gelebt; jener Augenblicke im Paradiese, die mit dem Tode nicht zu hoch bezahlt sind… waren weit mehr1 als einer.“ Das ist, an der Bahre eines Toten, ein tröstliches Wort — mit dem auch wir uns bescheiden dürfen.

Was Emst Lothar einmal einer Sterbenden in einem öffentlichen Brief geschrieben hatte, darf nun, da er von uns gegangen ist, von ihm selbst gesagt werden: „Er hat ein Beispiel gegeben, das wichtigste, das man geben kann. Er hat geglaubt, geliebt, gelitten und geopfert. Sein Name gehört dem Menschentum. Er habe Dank!“

Weisen! Besinnlichkeit und Gedankenreichtum hemmen nie das musikalische Gefall. Thuns edelste Dichtung sind wohl seine „Terzinen vom Gardasee“: sie fanden die Bewunderung jenes genauen Wägers von Schönheit und Echtheit, von Max Rychner, der sie in seiner „Schweizer Rundschau“ veröffentlichte; man liebt sie, soweit man deutsch versteht, in den geistigen Kreisen Ve- ronaa. Sie und die ,,Oktaven an das stille Haus“ bilden wohl den Gipfel des Thunschen Bändchens „Gedichte,“ deren letzte Oktave wir hier wiedergeben:

„Ich bin zu Ende und kann betteln gehen

In dieser Welt, die so viel Leid beschert,

Ich bin zu Ende und darf Wiedersehen,

Was diese Welt von neuem mir gewährt.

Ich bin zu Ende und soll auferstehen In dieser Welt, die strahlend wiederkehrt.

Es hat ein Kind im stillen Haus gelitten,

Es will ein Mann sich neues Leid erbitten.“

Terzinen, Oktaven, Sonette. Ach, werden nun modernistische Kritiker schreien, „Epigonentum!“ — Gemach, wenigstens, was das Sonett betrifft! Wir erinnern uns noch, welche stärkende Wirkung von Reinhold Schneiders Sonetten in schweren Zeiten ausging. Aber kann man dem Sonett überhaupt entgehen, wenn man hierzu berufen ist? Zu Anfang dieses Jahrhunderts hörte ich ein Zitat nach einem damaligen Franzosen

— ich weiß leider nicht mehr, wer es war: „Wenn man seine Gedanken zusammennimmt“, hieß es da, „und sie zur äußersten Verdichtung zu bringen strebt, ergibt sich von selbst ein Sonett.“ Und heute schreibt ein heißblütiger junger Kämpfer gegen „die Gefängnisse der Ästhetik“, gegen die Diktatur von Regeln und die Vergötzung des „Kunstwerkes“, der Südamerikaner Jommi im Namen der „Poesie“, die er „die Antikunst“ nennt, zu Ehren des Sonette Man weiß wohl, .daß ein Sonett — ein wahres Sonett — nicht auf Grund von Regeln geschaffen wird; man muß erst selbst zur Regel werden um nach der bizarren Weise zu schreiben.“

In der „Anthologie österreichischer Lyrik“ Darmstadt 1931) findet sich das Sonett „An Dich“, mit dem wir schließen:

Es ist so vieles zwischen mir und dir Das unberührt uns bleibt und ungesprochen Hat keines doch den stummen Schwur gebrochen Der aufgeblüht ist zwischen mir und dir.

Oft hob ein Raunen an von mir zu dir

Hat keines doch ein Sterbenswort gesprochen Und schwoll zum Rauschen, aber ungebrochen Blühten die Blumen zwischen mir und dir.

Und meinst du nicht, einst wird — in späten Tagen,

Wir sind schon tot vielleicht — ein . Kind e$: wagęn,

Das aufgeblüht ist zwischen mir und dir,

Dem Rätsel seines Glückes nachzufragen?

So mag ein Traum den stummen Schwur ihm sagen,

Der aufgeblüht ist zwischen mir und dir.

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