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Erinnerung an Preußen

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Zwanzig Pfennig vom Bahnhof Schöneberg über Wannsee nach Potsdam, gleichfalls zwanzig Minuten vom Herzen Berlins zu seiner Krone. Das ist spätestens seit dem Mauerbau endgültig vorbei. Jetzt braucht man fast zwei Stünden, um von einer Stadt in die andere zu kommen. Seit dem Luftangriff vom 14. April 1945 existiert der Hauptbahnhof Potsdam nur noch als Nebenstation, die abgelegene Station Wildpark wurde ersatzweise hochstilisiert. Im weiten Bogen umfährt die Bahn das Westberliner Territorium, um schließlich am früheren Schlesischen, jetzt Ostbahnhof, den Reisenden zu entlassen. Nochmals eine S-Bahn - die zwei Stunden sind reichlich voll, bevor man im Herzen von Ostberlin ist.

Diese Distanzierung spiegelt die Beziehung Potsdams zu Berün in den vergangenen drei Jahrzehnten wider. Das Herz und seine Krone wurden auseinandergerissen, die Geschichte Potsdams endete abrupt mit jener Konferenz im Schloß Cäciliehhof. Preußen, so beschlossen dort Anfang August 1945 die „Großen Drei“ - Staun, Truman und Churchill, der dann von Attlee abgelöst wurde -, hat aufgehört zu existieren. Seine Hauptprovinzen Ostpreußen, Schlesien, Pommern und Teile von Brandenburg

wurden den Polen zur Verwaltung übergeben. Bis zum Friedensvertrag. Mit ihm aber rechnete schon damals im Ernst niemand.

Die Krone der Hohenzollern hatte in dem ehemals unansehnlichen, von Sümpfen und Seen durchzogenen Poztupimi rasch eine ansehnliche Be-

hausung gefunden. Waren es zuerst nur Jagdfreuden in den ausgedehnten Wäldern, die zum Aufenthalt lockten, so verlangte der aufgehende Stern der Kurfürsten bald nach einer angemessenen Residenz. Noch 1652 fand Me-rian in seiner Topographie Brandenburgs die Stadt Potsdam nicht eines Kupferstichs für würdig. Dann entstand das Schloß, dann wünschte der Kurfürst plötzlich, das „ganze Eiland Potsdam“ in ein Paradies zu verwandeln. Um 1670 etwa waren die Planungen so weit gediehen, daß der Aufbau des kümmerlichen Fleckens zu einer planvoll gestalteten Stadt Gestalt annahm. Die Residenz aus der Retorte hatte schon hundert Jahre danach fast 30.000 Einwohner.

„Das die ganze Stadt überragende und mit ihrem hochberühmten Glok-kenspiel überklingende Wahrzeichen ist die Garnisonkirche. Unter ihrer Marmorkanzel befindet sich die Ruhestätte Friedrichs des Großen und Friedrich Wilhelm I.“ So sagte es der Stadtführer von 1936. Beides stimmt

nicht mehr. Stadtschloß und Garnisonkirche, bei dem erwähnten Bombenangriff beschädigt, wurden nicht wieder aufgebaut, für immer ist das Geläut verstummt, das mahnte: „Ub immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab.“ Die Särge der beiden Herrscher haben im Stammsitz der Hohenzollern in Württemberg Ruhe auf der Flucht gefunden. Durch Park Sanssouci und seine Schlösser wandern Legionen von jungen Menschen, die nichts mehr von Preußen wissen. Ein Museum mit gewaltigen Dimensionen - das ist alles. Der gestaltende Wille seiner Erbauer darf nicht mehr zur Sprache kommen.

Der Stadt selbst und ihren vier Vor-

städten erging es übler als Sanssouci. Jahrzehntelang wurden die Häuser vernachlässigt und Neubauten forciert. Die Villen, in welchen Pensionäre und Offiziere behaglich gewohnt hatten, verfielen oder wurden von sowjetischen Militärpersonen requiriert. Die Straßenzüge der Innenstadt, zweihundert Jahre Zeugnis bürgerlicher Solidarität, arteten in Slums aus.

Seit ein paar Jahren hat ein gewaltiges Renovieren - und Abreißen eingesetzt. Für viele Straßen kommt jede Hilfe zu spät. Hätte 1968 nicht ein weltweiter Protest eingesetzt, wäre es wohl auch um die von Schinkel erbaute Nicolaikirche geschehen gewesen. Seit Jahren werkelt an ihr eine Handvoll Männer, während der Palast nebenan längst als Klubhaus seine Pforten öffnen konnte; selbst die kümmerlichen Reste des gesprengten Stadtschlosses werden jetzt von polnischen Restauratoren sorgfältig wiederhergestellt. Wo sich im Lustgarten die Soldaten der Könige wenig lustvoll drillen ließen, erhebt sich nun der dreizehnstöckige Bau des Interhotels und ermuntert devisenträchtige Bundesbürger zum Ubernachten, um sie anderntags nostalgischen Erinnerungen auszusetzen.

Denn das Potsdam von heute stimmt nicht eben fröhlich. Am wenigsten

den, der seinen unnachahmlichen Geruch - aus kleinbürgerlicher Behaglichkeit, residenzhafter Anmaßung und künstlerischen Erhebungen vermengt- nicht vergessen kann. Sehr betriebsam - Potsdam ist Zentrum eines großen Bezirks und hat über 110.000 Einwohner -, sehr prosaisch und vor allem sehr geschichtslos will es mit Gewalt seine eigene Vergangenheit überspringen. Der „Geist yon Potsdam“, nach Hitlers Verbeugung vor dem greisen Hindenburg am 21. März 1933 in der Garnisonkirche immer wieder beschworen, war gewiß eine unfromme Selbsttäuschung - der Ungeist jener Konferenz im August 1945, die gleichfalls den Namen dieser Stadt trägt, hat Potsdam sehr viel mehr Substanz gekostet. „Der Führer hob hierdurch die Stadt Potsdam hinaus über alle anderen Städte des Reiches.“ So heißt es in dem schon erwähnten Stadtführer aus den dreißiger Jahren. Dafür mußte und muß Potsdam noch immer büßen. Sanssouci blieb, die ringsum in Seen sich ausweitende Havel blieb, die weißen Schiffe und die Schwäne auf ihr haben sich nicht verändert. Die Stadt aber ist nur noch eine Erinnerung an Preußen, dessen Untergang hier beschlossen wurde und mit ihm die Dreiteilung Deutschlands.

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