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Fall Filbinger: Wie eine „Affäre“ zum Zauberbesen wurde

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Der Fall des CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Karl Filbinger, ist ein Lehrstück dafür, wie man mit einer immer noch unbewältigten deutschen Vergangenheit und geschickter publizistischer Regie politisches Kapital schlagen kann. Und er ist ein Beispiel dafür, wie eine kampagneartig ins Leben gerufene „Affäre“ zu einem Selbstläufer werden kann - wie der Besen in Goethes „Zauberlehrling“ -, ähnlich einem klassischem Drama, in dem der Held sich immer mehr in die Umstände verstrickt, die dann zu seinem Untergang führen.

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Der Fall des CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Karl Filbinger, ist ein Lehrstück dafür, wie man mit einer immer noch unbewältigten deutschen Vergangenheit und geschickter publizistischer Regie politisches Kapital schlagen kann. Und er ist ein Beispiel dafür, wie eine kampagneartig ins Leben gerufene „Affäre“ zu einem Selbstläufer werden kann - wie der Besen in Goethes „Zauberlehrling“ -, ähnlich einem klassischem Drama, in dem der Held sich immer mehr in die Umstände verstrickt, die dann zu seinem Untergang führen.

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Angefangen hat alles mit einer Erzählung des engagierten linken Schriftstellers Rolf Hochhuth in der Hamburger . Wochenzeitung „Die Zeit“. Im Demontieren von Denkmälern geübt, schilderte Hochhuth darin die Tätigkeit des „furchtbaren Juristen“ Hans Filbinger als Marinerichter gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Artikel strotzte vor Invektiven, was den Ministerpräsidenten bewog, vor Gericht zu gehen und in einem presserechtlichen Verfahren Widerruf und Richtigstellung zu erreichen.

Das war Fübingers großer Fehler, denn er hatte eines nicht bedacht: Hochhuth hatte die Erzählung so abgefaßt, daß der Eindruck entstehen mußte, Filbinger sei ein waschechter Nazi gewesen - etwas, was auch heute noch, 33 Jahre nach Kriegsende, den damit etikettierten - ob er nun Filbinger heißt oder nicht - so diskreditiert, daß alle Verdienste, die er sich um den neuen, freien deutschen Staat erworben hat, keine Rolle mehr zu spielen scheinen. Filbinger fand sich unversehens in der Rolle des Angeklagten, der seine angebliche Nazi-Vergangenheit vor einer unnachsichtig urteilenden Publizistik offenzulegen hatte - eine Art zweiter Entnazifizierung.

Filbingers erster Fehler, der Gang zum Gericht, bedingte den zweiten. Dadurch, daß er Klage erhob, versetzte er den Schriftsteller Hochhuth in den Zwang, weiteres Material gegen den Angegriffenen zu finden. Als solches dann tatsächlich zutage gefördert wurde, trat Filbinger jedoch nicht die Flucht nach vorne an - was vieles hätte vermeiden helfen -, sondern verlegte sich aufs Taktieren. Dabei verhedderte er sich so in Widersprüche, daß schließlich seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel stand. Für die große Mehrheit der „veröffentlichten Meinung“ hat er sie auch inzwischen verloren.

Das ganze Drama hat zwei Seiten. Die eine ist Filbingers Vergangenheit. Nach allem, was bisher von eifrigen und eifernden Archivforschern hervorgekramt wurde, bewegte sich des Ministerpräsidenten inkriminierte Tätigkeit als Marinerichter in rechtlich einwandfreien Bahnen. Er erwarb sich darüber hinaus sogar Verdienste, indem er gegenüber vielen, über die er Recht zu sprechen hatte, Nachsicht übte, manchen sogar vor einem eigentlich zu fällenden Todesurteü verschonte. Sogar das Stuttgarter Gericht, welches Filbinger gegen Hochhuth (allerdings ohne Erfolg) bemühte, mußte feststellen, es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß er etwa das Recht gebeugt habe.

Daß die gefällten Urteile von damals aber heute solche Wellen schlagen konnten, liegt maßgeblich an der erschreckenden Unkenntnis, die gerade die Nachkriegsgeneration von den Wirren der letzten Kriegsmonate hat. Hier muß sich Filbinger vorhalten lassen, daß er die Öffentlichkeit, vor allem die junge Generation, nicht umfassend über diese Situation informierthat. Nur so konnte der Eindruck entstehen, als seien Fahnenflüchtige etwa in die Kategorie Widerstandskämpfer einzuordnen, als seien Todesurteile gegen solche Personen Willkürakte gewesen. Daß Fahnenflucht ein strafwürdiges Delikt und die Ahndung mit der Exekution beileibe keine Nazierfindungen sind, sondern allgemein im Kriege, ja teilweise heute hoch gültiges Recht darstellen, ging unter in einer Kam-

pagne, die weniger die Person Filbinger, als den CDU-Politiker und Ministerpräsidenten treffen sollte.

Das ist die zweite Seite des Dramas. In einer künstlich genährten Atmosphäre von historischer Unkenntnis, Halbwahrheiten und moralisierender Penetranz legte sich Filbinger selbst die Minen, auf die er dann prompt trat. Sein Wort vom „linken Kartell“, das es auf ihn als Politiker abgesehen habe, ist sicherlich weitgehend richtig. Doch daß dieses voraussichtlich Erfolg haben wird mit seiner Kampagne, liegt an Filbinger selbst. Seine Erklärungen und Rechtfertigungsversuche hatten in ihrer Ungeschicklichkeit etwas Peinliches.

Der Behauptung, nun könne man ihm aber nichts mehr anhängen, weil es absolut nichts mehr gebe, folgte wenige Tage später unter dem Zwang neu hervorgekramter „Fälle“ das Geständnis, er habe dies vergessen. Bei diesen Manövern ging Filbingers

Glaubwürdigkeit zu Bruch. Gegen eine publizistische Interessengemeinschaft, an deren Spitze „Spiegel“ und „Stern“ stehen und an die sich die politische Gegnerschaft nur zu gern angehängt hat, hat Filbinger nicht anrennen können.

Sicher, es hat an Solidaritätsbekundungen seitens der CDU für einen ihrer Spitzenpolitiker nicht gefehlt. Aber sie entsprangen mehr augenblicklicher Taktik als ehrlicher Uberzeugung. Tatsache ist, daß Filbinger zu einem Problem, ja zu einer Belastung für seine Partei geworden ist. Wer soviel

Fehler macht wie der baden-württembergische Ministerpräsident bei seiner Verteidigung, der ist für das heikle Geschäft der hohen Politik nicht mehr zu gebrauchen. Das allein hat auch mehrere Spitzenpolitiker der CDU wie Dregger, Weizsäcker oder Fübingers rheinland-pfälzischen Amtskollegen Vogel bewogen, ihn zwischen den Zeilen ihrer Stellungnahmen deutlich zum Rücktritt aufzufordern. Ein Abschied Fübingers von der politischen Bühne ist denn auch nicht mehr eine Frage des ob, sonderndes richtigen Zeitpunkts.

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