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Fortdauer der Erinnerung

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…hineinhuschen in einen Hausflur, in einen dunklen Gang, hinter der Türe stehen, auf Schritte horchen, die auf das Pflaster klopfen, hart, wie das Klopen des Herzens, sie kommen näher, zur Türe, verhallen…

Damals war ein Glöckchen dabei und der alte Mesner mit dem Gewächs über der Stirn, es war groß wie ein Ei und hautfarben, harmlos, sagte mein Vater, ich hätte es gerne betastet, hinter dem Mesner ein Priester im Chorrock, ich sah, wie ein alter Mann den Hut abnahm und niederkniete, auf die Gehsteigkante, er stützte sich dabei auf seinen Stock und der Priester segnete ihn mit der verhüllten Hostie,

Einige Frauen taten, als ob sie aui die andere Straßenseite wollten, doch sie gingen nicht hinüber, und als der Priester vorbei war, rannten sie auseinander.

Es war ein Mittag im Sommer, nicht viele Menschen auf der Straße, nachts war Fliegeralarm gewesen, vielleicht ruhten sie sich jetzt aus.

Ich trug ein neues Kleid, dunkelblau mit weißen Blättern darin, sie sahen wie Birkenblätter aus und der Rock war so glockig und leicht, daß er sich bei jedem Schritt blähte, wenn er wieder zusammensank, spürte ich seine leise Berührung über den Knien.

Meine Mutter hatte den Stoff für dieses Kleid heimlich bekommen, in dem kleinen Geschäft, in das sie oft gegangen war, um mit dem Mann im Rollstuhl, der weder sprechen, lesen, noch schreiben konnte, Bilder anzuschauen, ich weiß nicht, was für Bilder das waren, vielleicht solche von fremden Ländern, in die man nicht hineingelangte.

Eines Tages war der Mann verschwunden, doch meine Mutter ging nach wie vor in das Geschäft, um mit der Mutter des verschwundenen Mannes zu reden, sie zogen sich zu diesen Gesprächen in eine kleine Kammer zurück, die kein Fenster hatte, an den Wänden standen Regale mit staubigen Schachteln und in jeder Ecke lehnte eine schmutzige Kleiderpuppe.

Der Mesner mit seinem Glöckchen und der Priester im Chorrode überquerten jetzt die Straße, sie kamen immer näher auf mich zu und ich mußte ihnen bald begegnen. Ich sah.

Abschied vom Strand

Morgen um dieselbe Stunde bin ich nicht mehr hier. Von irgend einer Station wird mich eine Maschine fortgetragen haben, fort von dir, du magisches Azur, das auch die Nuance deines Himmels bestimmt. Du jauchzender Zauber eines Meeres, das alle Sehnsucht stillen kann!

Morgen zu dieser Stunde bin ich nicht mehr hier! Ich verlasse daß einige zögernd stehenblieben und ein schnelles Kreuz schlugen, andere erzählten sich etwas, überlaut und beschäftigt, und dann erkannte ich meinen Klassenvorstand, der dem Schulwart kaum mit einem Nicken zu danken pflegte, wenn dieser ihn grüßte, auf dem Schulhof oder im Gang, nun stand er ganz nahe beim Schulwart, schüttelte ihm freundschaftlich die Hand und klopfte ihm so lange auf die Schulter, bis der Mesner und der Priester hinter seinem Rücken vorbeigegangen waren.

Das Glöckchen wurde lauter und ich ging ihm entgegen, da erbliękte ich auf der anderen Seite Joachim, aus meiner Schulklasse, sein Vater war Opernsänger, und Joachim trug die Anzüge seines Vaters, dunkle, gestreifte Anzüge mit breiten Schultern, und er küßte meiner Mutter die Hand. Er hatte mich längst bemerkt, auch den Priester mit der verhüllten Hostie, und er legte, weitausholend, eine Hand auf seine Brust, mit der anderen wies er auf mich und deutete spöttisch einen Kniefall an.

Ich konnte schon das Gewächs auf dem Kopf des Mesners erkennen und dich und dein knochenbleiches Gestein, welches virtuose Kränze um deine Inselreiche windet. Aber ich verlasse dich nur, um zu dir zurückzufliehen, du mein einziges Ziel! Wie lange noch bis zu dieser Flucht, fragt mein Herz. Wir haben so wenig Zeit.

Morgen bin ich nicht mehr hier! Leichtfüßig stehe ich hart an dem keuschen, wellengeschlagenen Saum deines Gestades. Weißen Schaum wirfst du, gleich einem Brautschleier, über meine Fußge sah, daß sein Gesicht rot vor Hitze war, und sah in den Händen des Priesters das weiße, verschlungene Tuch, und sah Joachim, wie er lachend das Haar zurückwarf, das er länger trug als die andern,

und da war die halboffene, fremde Türe, durch die ich schlüpfte, der dunkle Hausflur, Kühle, und der süße, klebrige Geruch kochender Früchte, es gab nichts an den Strümpfen zu richten, meine Beine waren nackt, und es gab auch sonst nichts zu tun, ich mußte nur warten, bis das Glöckchen nicht mehr zu hören war.

Dann stürzte ich hinaus, scharfe Helligkeit, ich sah mich nicht um, auch nicht nach Joachim.

Daheim wartete Tante Johanna auf mich, die bei uns lebte, seit ihr Haus zerstört worden war, sie fragte mich, ob ich krank sei, fiebrig und wollte mich streicheln.

Ich stieß sie zurück und schrie: „Laß mich endlich in Ruhe..,!“ aber noch während ich schrie, sah ich die Worte von mir abschwirren und sich in ihr Gesicht bohren, Pfeile mit Widerhaken, und nichts konnte ich zurücknehmen, gar nichts.

lenke. Gefährten sind wir, Verbündete, Vermählte…

Morgen… Ich schöpfe dich mit beiden Händen und lasse die dünnen, salzigen Rinnsale von meinen sonnengebeizten Schultern rieseln…über die Brust, am Herzen vorbei…wie Blut; denn morgen bin ich nicht mehr hier.

Hitze. Brand. Kniend neige ich den Kopf zu dir, in dich, bis die Lippen deinen Grund finden und den kühlen, runden Kiesel spüren. Morgen bin ich weit.

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