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Franzosen machen Jagd auf „Gaspi“

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Auf vielfältigste Weise versuchen die meisten europäischen Länder dem Würgegriff der OPEC-Länder zu entkommen: In fast ganz Europa sind die Benzinpreise erhöht worden, in vielen Ländern gehen die Uhren auf Grund der Sommerzeit wieder anders. In Frankreich versucht man, die Krise auf spielerische Weise zu überwinden: nämlich durch eine Jagd nach einem fiktiven Männchen, „Gaspi“ genannt, was als Kosename für „Gaspilla-ge“ (Verschwendung) steht. In Japan werden die „Nachteulen“, im Dunkeln tappen müssen: Nachtklubs sollen früher schließen. Hier eine Aufzählung, wie die verschiedenen Nationen den Gürtel enger schnallen wollen:

Beneluxländer: Holland, Belgien und Luxemburg wollen auf dem Sektor Energie enger zusammenarbeiten, als es etwa im Europarat möglich wäre. Alle drei Länder haben die Sommerzeit eingeführt; Belgien verspricht sich davon eine Ersparnis von 50.000 Tonnen Erdöl. In Belgien wird auch im kommenden Winter in den Privathaushalten 20 Prozent, in Industriebetrieben 10 Prozent weniger Heizöl zugeteilt als im Vorjahr. Die Schaufenster bleiben in Belgien zwischen 21 und 9 Uhr finster. In den Niederlanden führen sämtliche 7000 Betriebe des Autogewerbes kostenlose Sparprüfungen durch: Vergaser, Bremsen, Kupplung und Reifen werden gratis kontrolliert.

Bundesrepublik Deutschland: Bonn will sich mehr auf Atomenergie und Solaranlagen stützen. Die Benzinpreise sind von Tankstelle zu Tankstelle unterschiedlich. An eine Geschwindigkeitsbegrenzung wird derzeit nicht gedacht.

Frankreich: Jagdpässe bei Tankstellen erhältlich: 120 Jagdschulen, wo Autofahrer sparsames Fahren lernen sollen, werden im Juli und August eröffnet. Durch ein Jagdhornsignal wird im Radio ständig die Erlegung eines „Gaspi“ gemeldet, eines kleinen Verschwenders. Durch diese an Autofahrer gerichtete Aktion, doch nicht zu stark auf das Gaspedal zu drücken, sollen 300.000 geschätzte Tonnen öl jährlich eingespart werden. Die nationalen E-Werke wollen auf öl weitgehend verzichten und es mit Kohle versuchen. Haushalte dürfen ihre Thermometer auf höchstens 19 Grad klettern lassen. Die Sommerzeit lächelt auch in Frankreich.

Griechenland: Ein Regierungsbeschluß schreibt es vor: Inländer dürfen nur noch jedes zweite Wochenende ihr Fahrzeug benützen. Im Winter dürfen Gebäude nicht mehr als 18 Grad Innentemperatur aufweisen. Zwei Stunden vor Mitternacht werden Leuchtschriften und Lichtreklamen abgeschaltet.

Großbritannien: Das britische Motto heißt „Kohle statt öl“: Bis zu 5,5 Millionen Tonnen Kohle sollen zusätzlich verheizt werden, um öl einzusparen. Benzinlieferungen an Tankstellen sind von den ölfirmen eingeschränkt worden. Sommerzeit.

Irland: In Irland gab es Ende Mai kilometerlange Warteschlangen bei Tankstellen. Autofahrer übernachteten in ihrem Fahrzeug, um Benzin zu ergattern. Folge: In Dublin gibt es rund ein Drittel mehr Zugpendler, in der Stadt lassen 25 Prozent der Autofahrer das Fahrzeug in der Garage und fahren mit dem Bus. Der Verkauf von Fahrrädern soll sich in der letzten Zeit verdoppelt haben. Das Tempolimit beträgt 55 Meilen pro Stunde (88 km/h), Sommerzeit.

Italien: Bis 22. September gehen die Italiener auf Grund der Sommerzeit eine Stunde früher ins Bett. Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Straßen ist nach Hubraum gestaffelt.

Japan: Die japanischen Fernsehanstalten sollen ihre Sendezeiten kürzen. Damit die Japaner nicht zuviel des mit Energieaufwand verbundenen Nachtlebens genießen können, werden die Nachtklubs aufgefordert, früher zu schließen. Am Wochenende haben auch viele Tankstellen geschlossen. Kraftwerke sollen von

öl- auf Kohle- und Erdgasbetrieb umgestellt werden. Klimaanlagen dürfen erst ab 28 Grad in Betrieb genommen werden.

Jugoslawien: 120 Kilometer auf der Autobahn, 100 Kilometer darf man auf Landstraßen höchstens fahren. An einem Tag in der Woche bleibt das Auto in der Garage, ebenso an einem Wochenende im Monat. Gewisse Lkw-Typen dürfen nur 200 Kilometer weit fahren. Benzinpreiserhöhung.

Schweden: Im Frühjahr wird eine Volksabstimmung über die Zukunft der Atomenergie durchgeführt. Bis 1981 soll ein Auto nicht mehr als neun Liter pro 100 Kilometer konsumieren, bis 1990 sogar nur noch 7,5 Liter.

Tschechoslowakei: Sommerzeit. Die Brennstoffrationierung soll noch strenger gehandhabt werden, öffentliche Gebäude müssen mit zehn Prozent weniger Energie als im Vorjahr auskommen. Die Tschechen und Slowaken gehen nicht mehr um sechs Uhr früh zur Arbeit, sondern zwischen sechs und neun. Je nach Fahrzeugart gelten Höchstgeschwindigkeiten auf den Straßen.

Türkei: Seit Jahresbeginn wurden die Benzinpreise dreimal erhöht.

UdSSR: Das Zentralkomitee mahnt die Bevölkerung, mehr Energie zu sparen. Eine Milliarde Kubikmeter mehr Erdgas soll heuer durch die Rohre fließen. An den weiteren Bau von Kernkraftwerken ist ebenfalls gedacht.

Ungarn: Schon um 22 Uhr wird die öffentliche Beleuchtung verringert. Gebäude mit Fernheizung dürfen tagsüber nicht mehr als 20 Grad haben, in der Nacht sinkt der Thermometer auf 18 Grad. In Bürogebäuden dürfen Zusatzgeräte und Aushilfs-Wär-mestrahler nicht mehr brennen.

In Polen, Portugal und Spanien gilt die Sommerzeit; in Rumänien und Bulgarien wurde der Benzinpreis fast verdoppelt.

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