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Für eine offene Katholizität

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Eine Flaschenpost über den Styx zu schicken, ist gar nicht leicht. Worüber soll man sprechen, wovon berichten, was interessiert überhaupt noch Dich, der Du alle menschlichen Freuden und alles Leid, von dem Dir vor al-i lemin den letzten Jahren vor Deinem Abschied von dieser Welt ein

gerüttelt Maß zugeteilt war, hinter Dich gelassen hast? Kümmert eine Seele, die bereits teil an einem größeren Leben hat, noch die Probleme unseres Erdendaseins, nimmt sie Anteil an den Anliegen jener, die noch im Fleisch sind?

Ich sehe Dich vor meinem geistigen Auge; nicht den „Schmerzensmann“ der letzten Jahre, sondern den kraftvollen, energiegeladenen und angriffslustigen Fritz aus den gemeinsamen Tagen der FURCHE. Und mein Blick gleitet über meine Bücherwand, wo ein ganzes Regal Deinen Werken reserviert ist — angefangen von der „kleinen Prosa“, die ich wegen ihrer knappen Diktion, aber umso deutlicheren Aussage immer besonders schätzte, bis hin zu den großen „Wälzern“, voll mit ihren barocken Wortkaskaden und ihrem oft orphischen Sinn. Uber den „Aufgang des Abendlandes“ und „Europa: Mutter der Demokratie“ wandert das Auge vorüber an den von mir weniger geschätzten „Der Glaube des Adolf Hitler“ — zu plakativ und verallgemeinernd, ja mitunter ein wenig auch denunziatorisch.

Es bleibt lange auf Deinem letzten Opus hängen, das wahrhaft zu einem opus magnum geworden ist und zu einem geistigen Testament dazu: Ich spreche natürlich von dem „Kampf um die österreichische Identität“. Nein: einem Friedrich Heer kann es niemals gleichgültig sein, wie sich die österreichischen Dinge entwik-keln und ob das große geistige Kapital, welches die Generation von 1945 geschaffen hatte, heute in politisches Kleingeld umgewechselt wird. Jedoch—und da sind wir bei einem anderen Kapitel - das ich Dir auch nicht vorenthalten kann.

Es gilt der Antwort auf die Frage, ob Deine Botschaft gegenwärtig überhaupt gefragt ist. Hand

aufs Herz: Es ist still geworden um Friedrich Heer. Sehr still. Zu still. Doch sei getrost, Du kannst warten. Eines ist unbestritten. Die Freunde wahren Dein Andenken. Es ist das Angedenken an einen Weggenossen durch viele gemeinsame Jahre, an einen lieben Mitmenschen und Freund, der — warum es verschweigen — es einem oft gar nicht allzuleicht gemacht hatte, ihm gut Freund zu sein.

„De mortuis nihil nisi bene“: so meinen die Lateiner. Ein Friedrich Heer aber war nicht „irgendwer“. Er war eine viel zu eigenständige, eine viel zu überragende Persönlichkeit, als daß man sein Bild nur glatt und flach, ohne Runzeln und Falten malen dürfte.

Runzeln und Falten: Jetzt ist es ausgesprochen. Jetzt muß ich weitergehen. Du, der große Wortführer des Gesprächs der Feinde, der Du wenige Jahre nach 1945 mit einem Buch gleichen Titels ein Programm entwickelt hast, das in Kirche und Welt herauf bis in unsere Tage für viele wegweisend geworden ist, ja das vielleicht sogar Weltgeschichte mitgeformt hat, Du entwickeltest eine beinahe schon wieder rührende Unfähigkeit zu Gesprächen mit Freunden.

Innerlich gehetzt und atemlos, wie Du warst, bildeten Dir solche Freundesgespräche immer nur den Rahmen zu großen Monologen, in denen der aufmerksame Zuhörer in Deinen Wortkaskaden neben einer Menge Geröll auch stets einige Goldkörner entdeckte, die er als wertvolle Gabe mit Dank annahm. Nun aber: „Gespräche“ fanden bei diesen Begegnungen nicht statt.

Als Wortführer einer „offenen Katholizität“ („Rom: Offene Stadt“ — so einer Deiner besten Artikel, die mir in Erinnerung sind), als ein sehr Eigenwilliger und, zugegeben oft auch Eigensinniger, hast Du nie die letzte Grenze des Glaubens Deiner jungen Jahre überschritten. Als solcher bist Du auch zu Grabe getragen worden.

Als ein moderner Erasmianer, ein Mann des Friedens und der coincidentia oppositorum bleibst Du uns in Erinnerung. Was heißt Erinnerung? Als solcher bleibst Du gegenwärtig! Und als ein Wortführer und Mitstreiter für ein „österreichisches Österreich“ dazu.

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