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Digital In Arbeit

Gedrucktes Wort

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Optimistische Nachrichten liest man gem. Zumal sie Raritätenwert haben. Ich habe einmal in der Zeitung eine kurze, aber erfreuliche Information gefunden. Die „Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse” hat herausgefunden, daß in der Bundesrepublik „ein Trend zum gedruckten Wort durchaus sichtbar” ist. Für einen Schreibenden ist es zweifellos eine gute Nachricht.

Obwohl... die Formulierung ist ein bißchen zu glatt und ein wenig zu allgemein. Das Wort „Trend” zum Beispiel. Wir haben in den letzten Jahren damit schon einige Erfahrungengemacht. Es gabden Mister Trend, den Herrn Trend, den Genossen Trend, eine Frau Trendwende, es trendierte sich hin und her, und besser ist es nicht geworden. Trend ist eine Linie, und Linien haben die Gewohnheit -so hat man es mir in der Schule gesagt -, ins Unendliche zu laufen. Wenn man sie nicht unterbricht natürlich. „Trend” ist ein Wort, das nur Hoffnung enthält, nichts mehr. Wobei nicht klar ist, ob dies eine Hoffnung für uns ist oder die eigene Hoffnung der Forscher, die sie da eingesetzt haben, um sie uns zu verkaufen.

Und dann - was heißt „gedrucktes Wort”? Auch so werden schon viel zu viele Worte gedruckt. Man denke nur an die Steuererklärung oder das Kleingedruckte in den Verträgen - meinetwegen müßten sie gar nicht länger werden. Auf Werbeprospekte, von denen ich jede Woche ein paar Pfund in den Papierkorb werfe, könnte ich gänzlich verzichten, sowie auch auf Memoiren alter Nazis, Friedenssprüche der Politiker, Weisheiten des großen Führers Gadaffi, soziologischstatistische Umfragen... Lassen wir das lieber, auch diese Aufzählung hat einen Trend ins Unendliche.

Wahrscheinlich meinten die Media-Analytiker unter dem Begriff „gedrucktes Wort” Zeitungen, Zeitschriften und Bücher - ich habe nur die Notiz gelesen, nicht ihren Bericht, obwohl sie ihn wahrscheinlich gedruckt haben. Das ist eben das nächste Problem - gedruckt heißt noch nicht gelesen.

Haben wir also einen Trend zum Drucken oder zum Lesen? Viele gedruckte Wörter (Sätze, Absätze, Seiten und Bände) sind offenbar gar nicht fürs Lesen bestimmt. In ihrer Sprache gesagt, besteht bei vielen gelehrten Büchern eine geradlinige, nullwerti-ge Korrelation zwischen ihrer gno-seologisch-noetischen Relevanz und semantisch-kommunikationstechnischen Effizienz. Das heißt, daß ungebildete Menschen sie nicht lesen, weil sie sie nicht verstehen, und die Gebildeten lesen sie eben deshalb nicht, weil sie sie verstehen und somit wissen, daß sie nur gedruckte Worte enthalten, sonst nichts. Es bleiben ihnen als Leser nur die Halbgebildeten, die nicht verstehen, daß sie nichts verstehen.

Als Gegenstück zu diesen „gelehrten” Büchern gibt es eine Riesenmenge solcher, in denen jedes gedruckte Wort jedem verständlich ist, aber niemand hat was davon, außer denen, die lesen lernen.

Der sichtbare Trend zum gedruckten Wort - wie man selbst sieht, ohne Hilfe von Forschem - geht in diese beiden Richtungen.

Warum habe ich mich eigentlich so gefreut?

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