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Genie aus Mähren

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Mähren, dieses so im Schatten Böhmens stehende Land, ist nicht nur das Land der Toleranz sowohl auf nationalem, wie auch religiösem und sozialem Gebiet. Es ist auch das Land der Genies. Fast unzählbar sind die großen Köpfe, die dieses Land der Welt schenkte. Sigmund Freund kam aus Mähren ebenso wie Thomas Garrigue Masaryk, Klemens Maria Hofbauer, Rudolf Kassner, Richard von Schaukai, die Ebner-Eschenbach, Stephan Zweig, Jan Arnos Comenius, Karl Renner und Adolf Schärf, Thomas Batä und Dr. Rudolf Smeral, der letzte k. k. Sozialdemokrat, und die Musils. Ein weiteres Genie erblickte vor 150 Jahren, am 22. Juli, in dem kleinen nordmährischen Ort Heinzendorf das Licht der Welt, der berühmte Abt Gregor Mendel, der Entdecker der Mendelschen Gesetze.

Seine Eltern und alle seine Vorfahren waren arme, deutschmährische Bauern des sogenannten „Kuh-ländchens“. Um das väterliche Bauernhaus breitete sich ein großer Obstgarten aus und unter der Anleitung seines Vaters lernte der kleine Bub praktische Gartenarbeit, vor allem das Pfropfen der Bäume. In einer Selbstbiographie schrieb Mendel, rückblickend auf seine Kinderjahre, daß ihm diese frühzeitig die ernsten Seiten des Lebens erkennen ließen und vor allen Dingen auch ihn lehrten, zu arbeiten.

Auch hier wurde nur ein natürliches Talent entwickelt. Denn nur zu gut ist bekannt, daß die Menschen aus den böhmischen Ländern wahre Roboter sind, deren Fleiß und Emsigkeit höchstens von Vorarlbergern erreicht wird.

Der junge Mendel besuchte zuerst eine Piaristenschule (ebenso wie Karl Renner und Adolf Schärf), dann das Gymnasium in Troppau und schließlich die Olmützer Universität. 1843 trat er in das Kloster der Augustiner Eremiten in Brünn ein. Neben Abraham a Sancta Clara und Martin Luther sollte er das berühmteste Mitglied dieses Ordens werden. Bei seinem Eintritt in den Orden erhielt er den Namen Gregorius.

Nach Beendigung des Studiums kam er zunächst in die Seelsorge. Aber bald erkannte sein Oberer, daß er für diesen Beruf nicht geeignet sei. Er schickte ihn an das Gymnasium nach Znaim, wo er Mathematik und Griechisch unterrichtete. Beim Versuch, an der Universität in Wien die Lehramtsprüfung abzulegen, scheiterte er wieder. Der Professor für Physik an der Wiener Universität, Baumgartner, hatte aber seine außerordentliche Begabung erkannt und flehte den Abt geradezu an, dieses Talent sich weiterentwickeln zu lassen. Der Abt war klug genug, diesen Vorschlag aufzugreifen. Und so konnte Mendel von 1851 bis 1853 vier Semester in Wien studieren. Er belegte kein einziges theoretisches Fach, sondern nur praktische, wie Untersuchung und Beschreibung von Pflanzen, Übungen im Gebrauch des Mikroskops, organische Chemie und höhere Mathematik. Nach Abschluß dieser Studien wurde er Professor für Naturgeschichte und Physik an der deutschen Oberrealschule in Brünn. Eine kleine Tafel in tschechischer Sprache weist dort heute noch auf diese Tätigkeit des berühmten Mährers hin. Im Frühjahr 1854 begann sein Aufstieg zum Weltruhm. In diesem Jahr begann er im Garten seines Klosters mit der Züchtung von Erbsen. Im Laufe von neun Jahren untersuchte er mit wahrem Bienenfleiß über zehntausend Pflanzen und entdeckte hiebei die seither berühmt gewordenen drei Mendelschen Gesetze. Diese besagen:

In der ersten Generation, die aus einer künstlichen Befruchtung hervorgeht, treten nur die „dominanten“ Merkmale in Erscheinung. In der zweiten Generation treten neben den „dominanten“ Merkmalen auch die „rezessiven“ auf, und zwar im Durchschnittsverhältnis 3:1, so daß unter je vier Pflanzen drei den dominanten und eine den rezessiven Charakter erhalten.

Jene Formen, die in der zweiten Generation nur den rezessiven Charakter zeigten, variieren in der dritten Generation nicht mehr, sondern bleiben in ihren Nachkommen konstant. Von denen, die in der zweiten

Generation das dominante Merkmal trugen, bringen zwei Teile Nachkommen hervor, die wieder das dominante und das rezessive Merkmal im Verhältnis 3 :1 zeigen, und nur ein Teil bleibt mit den dominanten Merkmalen konstant.

Die Nachkommen der Hybriden stellen die Glieder einer Kombinationsreihe dar, und die charakteristischen Merkmale können in alle Verbindungen treten, die nach den Regeln der Kombinatorik möglich sind.

Zu seinen Lebzeiten nahm die Welt nur teilweise Kenntnis von seiner epochalen Entdeckung. Sie war zu sehr in den Theorien seines Zeitgenossen Darwin befangen.

Mendel selbst wurde 1868 noch Abt seines Klosters, als solcher gehörte er dem mährischen Landtag an, wo er sich als Josephiner der fortschrittlichen Richtung anschloß. Seine Toleranz in nationalen Fragen wurde von tschechischer Seite rühmlich anerkannt. 1876 wurde er Mitglied des Verwaltungsrates der mährischen Hypothekenbank. Am 6. Jänner 1884 starb er an einem Nierenleiden und dem Versagen des Herzens. Einer der größten Söhne seiner mährischen Heimat, dem Land der Genies, hatte sein Leben vollendet. Seine Entdeckungen sind ein eiserner Bestandteil der Wissenschaft geworden.

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