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Gezähmtes Aufbegehren

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Angekündigt als Großausstellung, als „Sensation“, entpuppte sich die Frans-Masereel-Schau im Wiener Künstlerhaus - zumindest von der Quantität und vom Format der Holzschnitte her - als herbe Enttäuschung. Man mußte sich in Wien sogar in letzter Minute nach Leihgaben umsehen, um die Schau einigermaßen präsentabel zu gestalten.

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Angekündigt als Großausstellung, als „Sensation“, entpuppte sich die Frans-Masereel-Schau im Wiener Künstlerhaus - zumindest von der Quantität und vom Format der Holzschnitte her - als herbe Enttäuschung. Man mußte sich in Wien sogar in letzter Minute nach Leihgaben umsehen, um die Schau einigermaßen präsentabel zu gestalten.

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Statt der angekündigten hundert Exponate kamen letztlich nur siebzehn Rahmen mit je sechs kleinformatigen Holzschnitten an. Das Ganze füllt - mit den Leihgaben der Galerie Herzog - kaum den Vorraum des Museums am Karlsplatz. Aus der „Großschau“ wurde eine Taschenausstellung. An einen Katalog oder begleitende Texte hatten die kunstsinnigen Herren der belgischen Botschaft natürlich nicht gedacht. Es entspricht ja ohnehin einem modernen Trend, Ausstellungen möglichst „nackt“ dem Besucher unter die Nase zu reiben.

Wer in Wien Marsereels Werk kennenlernen will, muß also vorher in einschlägigen Kunstgeschichten nachblättern, muß sich ein Vergrößerungsglas zur Ausstellung mitnehmen und kann dort unter denkbar ungünstigen Lichtbedingungen die Miniholzschnitte des Belgiers betrachten. Falls er nicht gleich zur vorbildlich organisierten Schatz-Retrospektive (die eigentlich als Notlösung für die verkrüppelte Masereel-Schau gedacht war) abwandert „Kunstinformation“ nennt man das.

Dabei wäre gerade eine kritische Auseinandersetzung mit dem Oevre von Masereel interessant und längst fällig. Denn er entzog'sich den gängigen Rezeptionsmechanismen, denen die Expressionisten unterworfen sind. Zur Zeit der von Lukäcs inszenierten Expressionismusdebatte betrachtete man Masereel als Ausnahme, als lieblich-bürgerlichen Handwerker, dessen Holzschnitte man gerne als Zimmerschmuck und Illustrationen verwendet, der Vergnügen bereitet, kontemplatives Vergnügen. Heute, da neue Erkenntnisse, sich in Momenten wiederholende gesellschaftliche Aspekte eine neue Nähe zum Expressionismus evozieren, gerät Masereel in Vergessenheit. Ist er anscheinend nicht mehr aktuell. Leider, denn so verklärend und harmonisierend war der Belgier gar nicht.

Formal und vom Ausdrucksmedium her muß man Masereel durchaus den Expressionisten zurechnen. Er bevorzugte den Holzschnitt, reduzierte die Formen auf knappe, eben „expressive“ Linien und Striche, stilisierte den Schwarzweiß-Kontrast zu einem der wesentlichsten Prinzipien hoch.

Politischer Expressionist wie etwa Otto Rudolf Schatz oder Dix war Masereel nie, weder von der außerkünstlerischen Artikulation noch vom Thematischen in seinen Holzschnitten her. Er blieb Außenseiter, der formal - verin-nerlichte Expressionist. Seine politische Stellungnahme verdeckte er hinter einer fast manierierten Formalität, fast nie brechen direkt gesellschaftsbe-zogene Themen durch. In den Porträts - die in der Künstlerhausausstellung zumindest von der Form her die spezifische Stilistik Masereel recht gut aufzeigen - scheint es kaum Brüche, Dissonanzen zu geben. Die Büder strahlen eine tiefe, harmonische Ruhe aus, auf den ersten Blick zumindest. Der Ausdruck ist verinnerlicht, reduziert auf

die Augen, auf eine ganz charakteristische Anspannung der Gesichtsmuskeln. Masereel will keinen Gesamteindruck, keinen plakativen Protest oder Aufschrei, sondern die fast manieristi-sche Wirkung des Augenblicks, keine oberflächliche Psychologisierung.

Erst bei genauer Betrachtung der Bilder werden winzige Brüche sichtbar, Abweichungen von der scheinbar durchgängigen Harmonie, psychische Fehlleistungen fast. Etwa die düsteren FrauenporträtS, die Angst vermitteln, ein Ausgeliefertsein, nicht so drastisch wie bei anderen Expressionisten allerdings. Auflehnung scheint zur Resignation gezähmt, Emotion zur psychischen Grimasse verkommen. Die Hoffnungslosigkeit des Fühlens. In diesen Momenten ist Masereel auch wirklich groß, registriert er mit ungeheuerer Sensibilität, setzt er psychische Phänomene in Material um, das nur scheinbar gesellschaftsfern sich präsentiert.

Ähnlich .verhält es sich mit den Landschaftsbildern, die bei der Wiener Ausstellung überwiegen. Ruhige, ver-sinnlichte belgische Landstriche, die Inkarnation von unberührter Natur -scheinbar. Denn in winzigen Details wird die Zerstörung, die sich abzeichnende Katastrophe angedeutet, verhalten, diffus sich artikulierend und vielleicht deshalb um so bestürzender, bedrohender. Denn hier wird eine Spannung visualisiert, eine verdrängte Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt, eine Auseinandersetzung, die den Zwängen einer harmonisierenden Ideologie genauso unterworfen ist, wie versuchten psychischen Ausbrüchen. Eine Spannung, die hinter der ausgewogenen und fast berechnet scheinenden Verteilung von Weiß und Schwarz zu verdämmern scheint, die aber immer wieder - in Spuren - durchbricht.

An diesen Spuren in Frans Masereels Werk sind Kunstkritik und Käuferrezeption nur allzu bequem vorübergegangen. Es fiel halt allzu leicht, den Belgier als verklärenden, süßlichen „Landschaftsgestalter“ zu etikettieren, als sich ehrlich mit seinem Werk auseinanderzusetzen. Gerade sein problematisches Verhältnis zum Krieg oder zu seiner belgischen Heimat gälte es einmal zu hinterfragen.

Die Wiener Ausstellung - ein not-dürftig zusammengestoppelter Faltprospekt gibt gerade die wichtigsten Daten Frans Masereels wieder und bringt einige Belanglosigkeiten zu seinem Werk - kann nicht den Schimmer einer solchen Arbeit leisten oder auch

nur zu einer intensiven Beschäftigung mit Masereel anregen. Derart schlecht und lieblos organisierte Schauen schrecken eher ab, als daß sie neues Interesse erwecken.

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