Wer hat dich so geschlagen?
Der Mensch richtet die Welt zugrunde.
Der Mensch richtet die Welt zugrunde.
„Wer hat dich so geschlagen?“ Im Choral lässt Johann Sebastian Bach dies fragen. Mit Schmerzwucht steht die Frage wie in allen Zeiten das Kreuz. Wer hat dich so geschlagen? Wer hat dich so vernichtet und wer wollte und will dich immer bekriegen und wer will dir das Leben nehmen und wer will so böse sein, dass er oder sie die Waffe nimmt, ein Wort oder ein Gewehr oder eine Bombe, und zielt und töten muss. Wer will das und warum? Es ist der Mensch. Du bist das und ich bin das. Gott-entrissen stehen wir unter dem Kreuz, das wir aufrichten immer wieder als ein Zeichen des gewollten Zugrunderichtens. Analog oder digital, ist doch egal. Es ist so. Die Welt steht unter dem Kreuz. Karfreitag geschieht immer. Dies ist der tragische menschliche Makel, dass wir aus unserer Sehnsucht entführt werden können in die Gehässigkeit und in die tödlichste Liebesferne. Meine Antwort singe ich schmerzklar mit dem Chor: „Ich, ich und meine Sünden“, ich habe dich geschlagen. Ich, ich bringe dich ans Kreuz. Das gedoppelte Ich im Choral zeigt im Verborgenen, woran wir in Wirklichkeit Maß nehmen. Wir Narzissmus-Gepolten.
„Gott am Kreuze! Es hat bisher noch niemals und nirgendwo eine gleiche Kühnheit im Umkehren gegeben“, sagt Friedrich Nietzsche. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Diese Vergebungsbitte Jesu als Antwort vom Kreuz! In der Spitze aller Verlassenheit, im Ende dieses Lichtlebens schimmert eine ganz andere Energie. „Aus lauter Liebe will mein Heiland sterben“. Der alles verändernde Herzmensch.
„Gott ist Veränderung … Als er die Welt schuf, aus dem Nichts heraus, veränderte er das Nichts“, sagt der im April vor 110 Jahren geborene Dichter Stefan Heym. In dir und in aller Wunde der Welt wartet eine Aufstandsfreude gegen alles Vernichtende: das Osterwunder vom dritten Tag.
Die Autorin ist evangelische Pfarrerin i.R.
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