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I Ein Rufer in der Wüste

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Auch das ist 1988 gedenk würdig: der Kampf des Franziskaners und späteren Franz-Werfel-Beraters Cyrill Fischer gegen den Antisemitismus der dreißiger Jahre.

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Auch das ist 1988 gedenk würdig: der Kampf des Franziskaners und späteren Franz-Werfel-Beraters Cyrill Fischer gegen den Antisemitismus der dreißiger Jahre.

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Franz Werfel erzählt — mit ein wenig dichterischer Freiheit— in seinem Nachlaßwerk „Zwischen oben und unten“ (Langfcn-Müller, 1975):

„Unter den Geretteten jener Nacht des elften März (1938) befand sich auch ein Mann im Mönchsgewand. Wenige Stunden nur waren verflossen, seit die Worte des Kanzlers Schuschnigg: ,Ich weiche der Gewalt. Gott schütze Österreich!' im Radio verklungen, als sich der Pater Provinzial der Wiener Franziskanerprovinz in die Zelle des Pater Cyrill Fischer begab. Eiligste Entscheidung tat not. Dieser Pater Cyrill Fischer stand nämlich ganz oben auf der schwarzen Liste der Gestapo. Wenn das Wort ,todgeweiht' einen Superlativ vertrüge, so gehörte er zu den .Todgeweihtesten'.“

Cyrill Fischer berichtet selbst in seinem Lebenslauf:

„Ungefähr um fünf Uhr abends, bevor die Gestapo kam, zog ich meine Zivilkleidung an, packte meine Kutte zusammen mit speziellen Dokumenten in einen kleinen Koffer. Dann kniete ich nieder und bat Gott um Hüfe. Ich wußte wirklich nicht mehr weiter. Das Land war mit Nazis gefüllt, und ich wußte, daß alle Grenzen geschlossen wurden. Plötzlich kam mir aber ein Gedanke — versuche es an der ungarischen Grenze und halte dich fern von den Hauptstraßen. Dort gab es ein Kloster, das ich kannte, und ich wußte, daß dies die einzige Chance war.“

Mit knapper Müh und Not erreichte er schließlich Budapest und verbrachte dort zwei Monate im Kloster. Im Juni erreichte er über Frankreich New York, verbrachte drei Jahre in Cincinnati, ehe er nach Santa Barbara kam. Dort nahm er später Verbindung mit Franz Werfel auf und wurde der theologische Berater bei der Abfassung des bekannten Buches „Das Lied von Bernadette“.

Was geschah in Wien nach der Flucht von Cyrill Fischer? Bereits um vier Uhr früh kamen vier bewaffnete Gestapomänner ins Kloster und suchten ihn vergeblich. Seine vielen Bücher wurden konfisziert, eine seiner Kutten wurde mit Stroh gefüllt und mit seinem Bild darauf öffentlich verbrannt.

Pater Cyrill Fischer, bereits 1924 von Kardinal Friedrich Gustav Piffl nach Wien berufen, um alle religionsfeindlichen Strömungen zu erforschen und eine geistige Abwehrfront zu bilden, veröf f entlichte bereits 1932 die beiden Bücher „Die Hakenkreuzler“ und „Die Nazisozi“. In zahlreichen Artikeln verwies er auf die Gefahr des Nationalsozialismus, besonders Rassismus. Bereits 1933 kam aus München eine Morddrohung.

Wahrscheinlich auf Vermittlung von Hans Kandl wurde Fischer vom Ring der Altherren-Verbände der zionistischen Verbindungen für 10. Dezember 1934 zu einem Vortrag mit dem Thema „Wie sieht der Katholik das jüdische Volk?“ eingeladen. Nach Rücksprache mit Kardinal Theodor Innitzer sagte er zu. Der anderthalb stündige Vortrag im überfüllten Saal des „Hotel de France“ am Wiener Schottenring wurde mit großem Beifall aufgenommen.

Die wortgetreue Wiedergabe des Manuskriptes in der „Neuen Ordnung“ (1935) ermöglichte Karl Lugmayer. Hier einige Grundgedanken daraus:

• „Der wirkliche, vollblütige Katholik kennt keinen Judenhaß. Für den Katholiken ist Christi Gebot von der allgemeinen Nächstenliebe streng verpflichtend, darum darf er auch den Juden nicht davon ausnehmen. Für den Katholiken ist der Jude von heute ebenso wie der einheimische oder ferne Heide zum Heile und zur Erlösung berufen.“

• „Wir dürfen nie und nimmer vergessen, daß die heiligen Bücher der Christen von Juden stammen.“

• „Aus dieser unserer katholischen Hochachtung vor dem Alten Testament wehren wir uns mit aller Kraft gegen die nationalsozialistischen Bestrebungen, die Bibel von jüdischen Bestandteilen zu reinigen'.“ • „Er (der Katholik) wird aber auch deshalb das Judenvolk nicht verachten, weil Christus selbst aus dem Judenvolk hervorgegangen ist...“

Cyrill Fischer belegt seine Ausführungen mit einem Pauluswort im Römerbrief (11. Kapitel): „Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er einst auserwählt hat.“

Uber das Verhalten von Jesus stellte Fischer fest: „Und wie sehr fühlte sich Christus mit seinem Volk verbunden... Sein Leben ist ganz eingebettet in das jüdische Brauch- und Volkstum. Seine Sprache, seine Gleichnisse sind seinem jüdischen Heimatland und Volk entnommen.“

Gegen Ende des Vortrages sagte Pater Cyrill: „Wir Katholiken haben bei der Beurteilung der Judenfrage eine viel weitere Schau und einen toleranteren Standpunkt als die meisten Juden ahnen. Die Kirche weiß recht wohl, daß es letzten Endes Gott ist, der die Herzen der Menschen wie Wasserbäche leitet...“

„Nur der Unsichere und Ängstliche wittert allüberall Gefahr, er ist das bedauernswerte Opfer von Schlagworten und mahlt in der Angst- und Psychosenmühle giftige Saatkörner zu vergiftetem Mehl aus. Es werden Brote des Todes daraus gebacken.“

Abschließend kommentierte Fischer seinen Kampf gegen den Nationalsozialismus:

„Die Todesdrohungen, die mir dieser Kampf in ziemlich reicher Fülle eingetragen hat, haben mich niemals davon abhalten und abschrecken können, weltanschauliche Gefahrenherde zu übersehen oder ihnen in weitem Bogen auszuweichen. Gewissenspflicht ist es, auch die eigenen Volksgenossen vor Irregehen zu warnen beziehungsweise beschrittene Irrwege als solche aufzuzeigen. Freilich muß man sich in solchen Fällen auf Prophetenlos gefaßt machen, zeitweise als unangenehmer Rufer in der Wüste betrachtet und verfolgt oder als Stephanus gesteinigt zu werden.

Das Christentum hat Männer genug, welche ob ihrer Wahrheitsliebe von Glaubensgenossen leidenschaftlich verfolgt wurden. Dennoch hielten diese Männer stand. Und ein späteres Geschlecht mußte ihnen recht geben.“

Zu den Ausführungen von Pater Cyrill Fischer vom 10. Dezember 1934 erschien von Jakob Weiner in der jüdischen Zeitung „Die neue Welt“ am 6. Jänner 1935 folgende Stellungnahme:

„Der Schreiber dieser Zeilen hat den Vortrag, der über eineinhalb Stunden gedauert hat, von A bis Z aus allernächster Nähe mit größter Aufmerksamkeit mitangehört und kann selbst bestätigen und durch maßgebende Zeugen erhärten lassen, daß P. Fischer nichts gesagt hat, das vom national-jüdischen zionistischen oder sogar auch vom jüdisch-religiösen Standpunkt bedenklich wäre ... Man darf wohl sagen, daß es eine erfreuliche Erscheinung jungen Datums ist, daß der Katholizismus so spricht, wie in diesem Vortrag durch Pater Fischer.“

Oft wurde Franz Werfel in Amerika gefragt, ob nicht Kardinal Innitzer Cyrill Fischer vor Verfolgung und Vernichtung schützen hätte können. Werfel beantwortete diese Frage immer mit einem lauten und veraehmlichen „Nein!“. Wörtlich sagte er: „Und nichts gereicht unserem Cyrill Fischer zu höheren Ehren als dieses Nein. Kein Kardinal und kein Papst hätten ihn retten können vor der Rache der Nazi.“

Am 29. April 1945 überschritten die amerikanischen Truppen im nördlichen Mühlviertel die bayerisch-österreichische Grenze. Dort Hegt der Geburtsort von Cyrill Fischer. In Schwarzenberg lebte damals noch seine Mutter, die am 10. April 1938 mit „Nein“ gestimmt hatte. Am 27. April 1945 war bereits Karl Lugmayer Unterstaatssekretär für Unterricht. Fischer und Lugmayer waren Ge-burtsJahrgang 1892 und verbrachten ihre Jugend in Schwarzenberg.

Cyrill Fischer starb am 11. Mai 1945. Er erlebte noch den Frieden und übermittelte über den Londoner Rundfunk die besten Grüße an die Familie Lugmayer.

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