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Ein Kämpe der Feder

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Am 11. Mai 1945 starb in Santa Barbara in Kalifornien der österreichische Franziskanerpater Cyrill Fischer; er wurde in der Old Mission des dortigen Konvents begraben. Die Tafel seines Grabes trägt die kurze Inschrift: „Cyrill Fischer O. F. M. Obiit 11 Maii 1945. Aet. 52. Prof. 33. Sac. 22. R. I. P.“.

Wenige nur wissen, welches Leben sich hinter diesen kargen Daten verbirgt. Das Vergessen zieht es schon in das Meer seiner Unendlichkeit und mit jedem Tag, der dahingeht, entschwindet es unseren Blicken mehr.

Wenn ich Pater Cyrill in seinem Wiener Kloster besuchte, pflegte er mir selbst die Pforte zu öffnen und mich über die gewundene Treppe in seine Zelle zu führen. Der altertümliche Raum mit seinen dicken Mauern, vergitterten Fenstern und mit seiner nieder gewölbten Decke bot einen eigenartigen Anblick: überall lagen Stöße von Zeitungsausschnitten. Sie verbarrikadierten den Schreibtisch, waren' am Boden aufgestapelt, sahen aus dem offenen Schrank und hielten den Stuhl des Besuchers besetzt, so daß der Pater in Eile erst Platz schaffen mußte. Was wollte Pater Cyrill mit den vielen Zeitungsausschnitten?

In einem der letzten Briefe, die ich von ihm aus Kalifornien erhielt — geschrieben am 25. Februar 1944 — heißt es: „Gegenwärtig gehe ich dem Abschluß der Sichtung und Einordnung meines Ausschnittsmaterials entgegen. Ich hoffe, in einem Monat fertig zu werden. Es handelt sich um 20.000 Ausschnitte zu den mich interessierenden Themen. Dann will ich ans eigentliche Schreiben gehen..

20.000 Ausschnitte! Sie gehörten zu dem Rohmaterial zu seiner schriftstellerischen Arbeit. Die Zahl spricht sich leicht aus. Als es März 1938 Pater Cyrill vor der Vergewaltigung Österreichs gelang, zu seinem Glück noch rechtzeitig das Land zu verlassen, mögen seine Koffer mehr mit Zeitungsausschnitten als mit Kleidern und Wäsche gefüllt gewesen sein. Bis nach Amerika, das schließlich dem Flüchtling gastlich Aufnahme gewährte und wo er zuerst unter dem Pseudonym Frank Shields sich niederließ, schleppte er diese Ausschnitte. Heute, nach seinem Tod, mögen sie zu hohen Stößen geschlichtet, aufbewahrt in jenem Franziskanerkloster liegen, auf dessen Friedhof er zur ewigen Ruhe gebettet wurde. Aber wer wird dieses Erbe antreten, diese Zeugnisse aus der Zeitgeschichte, die bestimmt waren, Cyrill Fischers Anklage gegen den Nazismus als Beweise zu belegen?

Der Beginn der publizistischen Tätigkeit Pater Cyrills fällt in die ersten Jahre nach dem Weltkrieg. Damals, als ein kriegerischer Materialismus zum Stoß gegen die christliche Tradition .Österreichs und christliche Weltanschauung einsetzte, fühlte sich Pater Cyrill aufgerufen. Er war eine ausgesprochen polemische Natur, die es schwer hatte, dem Gegner immer gerecht zu werden. Aber es ging ihm um die Grundlagen seiner Heimat, die er über alles liebte. „Sie haben ganz recht, daß man Österreich nur christlich aufbauen kann, und zwar katholisch“, schrieb er mir in seinem letzten Briefe, „das ist das innere Gravitationsgesetz dieses Landes.“

Es galt für ihn, der noch an die Macht der echten Einsicht glaubte, die vielen Irrtümer und Irrlehren des Nationalsozialismus zu widerlegen, mit der christlichen Wahrheit und Tatsachen zu konfrontieren. Zur Zeitgeschichte schöpfte er Material aus Zeitungen, jener leicht versiegbaren Quelle, aus der viel Wichtiges der Vergessenheit anheimfällt. Es war ein wahrer Michaelskampf, den dieser Franziskaner zu führen gedachte.

Ich besitze von den vielen Broschüren Pater Fischers nur wenige. Eine größere trägt die Aufschrift „Christuskreuz und Hakenkreuz?“ und eröffnet dem Leser, welche Gefahr der Verfasser als die größte für Österreich erkannte.

„Eine wahre Adventstimmung voll Not und Verzweiflung liegt über unserem Volke“, so beginnt er. „Immer lauter und eindringlicher ruft und seufzt es nach Erlösung aus den Abgründen wirtschaftlicher, politischer und nicht zuletzt seelischer Bedrängnis ... Mitten in dieser Verzweiflungsstimmung treten nun die Phrasenheilande des Nationalsozialismus auf .. .“

Und nun beginnt eine Abrechnung, Punkt für Punkt, in der Kürze einer Flugschrift, aber auch Schlag auf Schlag. Sie ist eine Kriegserklärung, die heute, nach den Erfahrungen des zweiten Weltkrieges, selbstverständlich klingt, da sie in die Einsicht der gesamten Welt überging, damals aber vor allem im Auslande wirken sollte. „Diese Religion des Blutes will das ganze Weltgeschehen aus rassischen Gründen erklären*', heißt es da. „Sie überspitzt den gesunden Grundgedanken vom Werte des eigenen Volkes und vergötzt die eigene Nation. Das widerspricht aber der christlichen Lehre: alle Völker sind von Gott geschaffen ... Dieser krankhafte . Rassenhaß erkennt nicht die Liebe als Höchstwert an, sondern die Ehre...“

Seine Polemik richtet sich besonders auch gegen d$e Auffassung der Ehe durch Rosenberg, der den Ehebruch gut heißt, wenn ihn „rassische Gründe“ erlauben, der die Mädchenerziehung als „fast tierhafte Rassenzucht“ propagiert. Pater Cyrill enthüllte damals schon die nationalsozialistische Auffassung der Religion, deren „Grundgedanke ... Karl Ottos Satz ist: Religion ist ahnendes Empfinden ewigen Geheimnissei durch das Prisma der Rasse“ als falsch. „Nein“, ruft er aus, „das stimmt nicht, Rasse statt Religion gibt ein Babylon.“ Heute, da wir dieses Babylon wirklich erlebten, zeigte sich, wie wahr die Worte waren, die dieser schlichte Mönch schon 1934 schrieb.

Pater Fischer mußte 1938 fliehen und in Amerika das Leben eines Emigranten führen, das ihm trotz hilfsbereiter Aufnahme die Heimat nicht ersetzen konnte. Die Fremde drückte auf ihn, der sich nach seinem Land sehnte und sich auch zur Unwirksamkeit verurteilt sah. Als Berater Franz Werfeis, dessen „Lied der Bernadette“ er vor dem Erscheinen auf theologische Irrtümer hin durchlas, konnte er zwar sein reiches Wissen anwenden. Auch war er es zweifellos, der dem Dichter den eigentlichen Begriff der katholischen Welt übermittelte und also auch an den Erlebnissen beteiligt ist, die Werfeis Essaybuch „Zwischen oben und unten“ erweist. Aber dies alles war zu wenig für seinen Tatwillen und so zog er sich wieder auf seine Hauptarbeit zurück, auf seine Verarbeitung der Zeitungsausschnitte, auf die Entgegnung der nazistischen Häresien.

Dies war kein leichtes Beginnen mehr für Pater Fischer, denn seit längerer Zeit kränkelte er. Nach der Entfernung einer Niere mußte er sich 1944 einer neuen Operation unterziehen. Er sah die Gefahr und schrieb in seinem letzten Brief: „Es geschehe Gottes Wille: Emigration in die andere Welt.“

Drei Monate später ging er in die andere Welt. „Und er wollte leben und für die Kirche weiterarbeiten“, schrieb sein Bruder Superior. „Am selben Tag — Christi Himmelfahrt — habe ich ihm die letzte Ölung gegeben. Am nächsten Tag, um sechs Uhr fünfundfünfzig früh, ist er gestorben. Unser P. Vizeprovinzial war Zelebrant bei dem Totenamt und Diakon und Subdiakon wären zwei Weltpriester aus Österreich, die zur Zeit in Los Angeles leben. Einer davon, P. Moser, ist Kriegsflüchtling, der andere ist seit vielen Jahren hier in Amerika. Nach der Messe sprach ich einige Worte über unsern lieben Mitbruder und am Schluß sprach P. Moser in deutscher Sprache. Viele von seinen Freunden haben geschrieben, Franz W e r f e 1, der in den letzten Jahren in Los Angeles wohnte, war krank und konnte erst nach zwei Wochen nach Santa Barbara kommen, um das Grab von P. Cyrill zu besuchen. Und jetzt ist auch Franz Werfel gestorben. Schon vor drei Jahren, als es klar wurde, daß P. Cyrill schwer krank war, bat ich ihn, mir etwas Schriftliches zu geben, worin ich Klarheit haben würde über die Disposition seiner Manuskripte. Den Brief habe ich erst nach seinem Tode gelesen und jetzt bewahre ich die verschiedenen Manuskripte, Tausende von Ausschnitten, bis wir seine Wünsche ausführen können ...“

In unserer Zeit, da die Stimme des Wahrheitszeugen oft spurlos verhallt, als wäre sie nie gewesen, steht die Gestalt dieses österreichischen Franziskaners in ihrer Geradheit als ein Vorbild vor uns. Denn die Zukunft braucht solche Kämpfer, auch wenn sie zu ihrer Zeit scheinbar vergeblich stritten.

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