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Jahrhundert der Porträtisten

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Hätte es sie und ihre subtile Kunst nicht gegeben, wir wüßten heute viel weniger darüber, wie Wien, wie so-viele Städte und Dörfer der Monarchie, wie so manche ihre Zeit formenden Aristokraten und Bürger Österreichs ausgesehen haben. Wir wüßten nicht, welche Märchenatmosphäre in Nikolaus Dumbas berühmtem Bibliothekszimmer in seinem Ringstraßenpalais herrschte, nicht, welches üppige Wunderland ein Blick in Hans Makarts berühmtes Atelier in der Gußhausstraße öffnete, nicht, welcher mystische Farbenzauber um 1871 in der Wiener Stephanskirche wirkte, und auch nicht, in welcher dunkeltonigen Atmosphäre etwa Rudolf von Alt selbst lebte (Aquarell von 1904)... Sie, die Alt-Dynastie, Jakob, Rudolf und Franz, waren Chronisten dieses Habsburgerreichs von Biedermeiertagen an, bis zum lautlosen Verwelken seines Glanzes, sie waren die hinreißendsten Porträtisten der Landschaften und Städte. Und sie waren Künstler, Künstler von fabelhaftem Können, von einer Reife, Kultur, Eigenständigkeit der Aquarelltechnik, wie diese hier ihresgleichen suchte.

Hundert Jahre lang vereinigte diese Malerdynastie in sich die perfekte Vorstellung von der Aquarellkunst in all ihren Spielarten — vom biedermeierlich Genrehaften eines Jakob (1810 aus Frankfurt/Main zugewandert), der Bildungsinteressen, die Freude an Landschafts- und Stadtveduten der Auftraggeber (etwa Kaiser Ferdinands für seinen Hohlspiegel-Guckkasten), die Naturfaszination der Zeit befriedigen mußte und dabei künstlerisches Neuland betrat, über Rudolf, der die geistigkünstlerischen Eroberungen des Vaters stilistisch verfeinerte, den Vorstoß in die „Moderne“ wagte und so zum Mit-Vater der Secession wurde, bis zu Franz, den liebenswürdigverbindlichen Artisten, der für die

Aristokratie, für die Esterhäzy, Knorr, Stieglitz, für Marie von Ebner-Eschentoach, Graf Demblin, Lichnowsky, Thun, Erzherzog Carl Ludwig, die Coburger malt, deren kunstbegabte Kinder unterrichtet und dabei eine Perfektion, unvergleichliche Pinseleleganz entwik-kelt... auch wenn er, verglichen mit Rudolf, nie dessen psychologisieren-de Tiefe erreicht, dessen Vorstoß ins dramatische Helldunkel, dessen kühnen Impressionismus, der in der Spätzeit in die Zerlegung des Lichts und zur Auflösung der Konturen“ führt.

Nun resümiert das Historische Museum der Stadt Wien mit einer repräsentativen Ausstellung die 100 Jahre der Familie Alt. In einer Schau der Werke von Vater Jakob (1789 bis 1872) und den Söhnen Rudolf (1812 bis 1905) und Franz (1821 bis 1914), 420 Objekte, durchwegs aus dem Besitz des Hauses am Karlsplatz. Eine Ausstellung, die einen großen Bogen spannt: von einer Zeit, da das Realismusproblem des 19. Jahrhunderts noch nicht als solches erkannt war, Landschafterei etwa noch als Erbe spätbarocker Vedutenkunst verstanden wurde, bis zu einem Moment, da es in der Kunst längst nicht mehr um die Reproduktion von Wirklichkeit ging ... Denn selbst Rudolf von Alt löst sich schon in seinem Spätwerk vom Realismus ab, bezieht zuerst das Spontane, den Reiz des Augenblicks, das Spiel von Licht und Schatten, Falten und Stimmungen ein, um dann um so stärker Konzentration sichtbar werden zu lassen. Wie etwa auch Tina Blau oder Emil Jakob Schindler. Und von da aus ließ Rudolf seine letzten Aquarelle in die zarten nebelverschleierten Landschaften nach Art des „Ver Sacrum“ der Wiener See es-sionisten münden, deren Ehrenpräsident er, der Vielgeehrte, 1897 wurde.

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