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Karwoche, fernes Licht

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Die vorösterliche Zeit. Das Aschermittwoch-Aschenkreuz dem mit Ochsenblut bestrichenen Türpfosten verwandt, die den Schlächterengel abhalten: es mit dem Totenschauder des Totengedenkens an seiner Stirn zu sehen als den Staub, der man werden würde, hat den Tod in nie erreichbare Ferne gerückt.

Mehr als das Aschenkreuz, mehr als die unter deinem Fenster sich sammelnden, schwarz-weiß gekleideten Ministranten, mehr als die wie eine Rodel hinter der Kirche lehnende Totenbahre, mehr als die von ihrer Wiese in den Ernst des Lebens geholten Leichenpferde, mehr als die in Mutproben aufgesuchte Aufbah-rungskapelle und die unsere Spiele auf dem Kirchenplatz unterbrechenden Begräbnisse enthielt den Tod das Handkreuz unseres kleinen Leiterwagens. Das Andachtsbild des nach dem Krieg an einem Waldrand aufgestellten Marterls gab dem recht: auf drei großen Leiterwagen liegen durcheinandergeworfen wie die Kasperlpuppen in der Spielzeugtruhe viele Leichen, an den Bäumen und Sträuchern hängen Arme und Beine und gestreifte Kleiderfetzen, dreißig Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen waren bei Zwangsarbeiten auf unserem Bahnhofsgelände wenige Tage vor Kriegsende von einer Bombe derer getroffen worden, an deren baldiges Kommen zu glauben sie vielleicht am Leben erhalten hatte — was für ein Gott ist das, welcher es nicht einmal zulassen kann, daß Halbtote einen anderen als ihn als ihren Erlöser empfangen! (Auf dem Friedhof, gemütlich wie eine Gärtnerei, die Vorliebe für Grabsteine, an denen eine Photographie ihrer Toten verglast angebracht ist: in diesem Alter und mit diesem Gesichtsausdruck laß mich am Jüngsten Tag auferstehen!)

Manchmal in eine Kreuzwegindacht, hingezogen von den schleppenden Klageliedern („hoch-ver-eh-eh-ret, Kreuzstamm Christi, mei-nes Herrn”) zum Schauspiel des Kreuzpartikelküssens: angestellt stehen sie vor den Speisgitterstufen, um sich zu dem auf dem Boden liegenden Kruzifixus hinunterzubeugen und wie den Aussätzigen seine Wundmale zu küssen, nach jedem Kuß wischt ein Ministrant mit einem violetten Tuch darüber - Bewegung, die weniger der des Pfarrers gleicht, der nach dem letzten Schluck den Meßkelch mit einem weißen Tüchlein poliert, als der der Krankenschwester, die, mit einem Tuch über das Thermometer fahrend, in weltlichen Dingen Hygiene praktiziert.

Die ab dem Passionssonntag von violetten Leichentüchern verhüllten Kreuze. Nun erst siehst du, wie viele am Kreuz Sterbende oder soeben am Kreuz Gestorbene es all die Zeit in unserer Kirche gibt: ist es mit einem Tod nicht genug gewesen, die Welt zu erretten, wie viele Sünder kommen auf einen Kreuzestod, wenn man alle Kreuze der Welt zusammenzählt? Und zugleich wird mit der Kreuzverhüllung wenige Tage vor seinem Todestag sein Tod ungeschehen gemacht, damit er bald wieder in frischer Erschöpfung frisch sterben kann, erfrischt zu einem nächsten Tod von der kleinen Sterbenspause (manchmal die Verhüllung der Kreuze ein Vorhang, der den Sterbenden vor neugierigen Blicken schützen soll, oder das Leintuch, das dem eben Gestorbenen über das Gesicht gezogen wird, daher auch, wenn es ein lebensgroßer Kruzifixus ist, der Sack, der dem sogleich Gehenkten über den Kopf gestülpt wird).

Der Palmsonntag daher (wie in meiner Erinnerung Bittprozessionen um Regen bereits unter Regenschirmen als Dankprozession ihren Anfang nehmen, hat die Palmprozession mit kahlen Zweigen begonnen und mit grünem Laub vor der Kirche geendet) eine kleine Wohltat—der kleine Palmbuschen wird unser Herrgottswinkel-Kruzifix (Winkel, in welchem er zur Strafe für die Sünden seiner Kinder hängend Strafe stehen muß) auf Wochen hinter Gebüsch verbergen, erst wenn die Blätter verdorrt sind, mußt du wieder unversehens und mit vollem Mund zu der übel zugerichteten Leiche aufschauen, manchmal mit einem Grauen, daß die Gewöhnung auch Grauenvol-

(Fortsetzung auf Seite 17)

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