6869973-1978_19_15.jpg
Digital In Arbeit

Kleist - werkgetreu

Werbung
Werbung
Werbung

Die Einstellungen zu den Stücken ändern sich. Als das Schauspiel „Der Prinz von Homburg“ von Heinrich von Kleist, jetzt wieder im Burgtheater, an eben dieser Bühne 1821, zehn Jahre nach dem Freitod des Dichters, zur Uraufführung gelangte, wurde es auf Betreiben von Erzherzog Karl nach vier Wiederholungen abgesetzt

Weshalb? Ein General durfte keine Angst vor dem Tod zeigen, wie dies beim Prinzen der Fall ist, er durfte kein Träumer, kein Nachtwandler, keiner sein, der in Ohnmacht fällt. Wir dagegen schätzen bei Kleists Sieger von Fehrbellin gerade die verständlichen, sehr menschlichen Regungen.

Doch gibt es auch heute Auffassungen des Stücks, die sich den bisherigen widersetzen. Manfred Wekwerth, der Regisseur dieser Aufführung, ist, wie er in einem Interview erklärte, der Meinung, daß dieses Stück als Bekenntnis zu Gesetz und Ordnung mißdeutet wurde, die Anerkennung der staatlichen Forderungen durch den Prinzen stelle eine Persönlichkeitsberaubung dar. Wekwerth war Regieassistent und Koregisseur Brechts, er ist nun Intendant des Berliner Ensembles. Vor 25 Jahren sahen wir bei einem Gastspiel in der Scala Brecht-Gorkis „Mutter“ in seiner Regie. Er kommt also aus der DDR und bezeichnet die Einordnung in das staatliche Gesetz, die gerade in der kommunistischen Praxis maßlos übersteigert wird, als Persönlichkeitsberaubung. Er täuscht sich wohl vor, in der DDR sei dies Partnerschaft

Aber nun die Überraschung: Wek-werths Auffassung ging nirgends in seine Inszenierung, seine „Bearbeitung“ ein. Was Regisseure aussagen, was sie auf den Brettern darbieten, kann, wie hier, durchaus zweierlei sein. Wekwerth ist in der Sicht dieses Abends kein Antistück-Regisseur wie heute so manche, das Bekenntnis des Prinzen zum Gesetz wird in keiner Weise relativiert, nichts von Persönlichkeitsberaubung. So gibt es eine

äußerst sehenswerte Aufführung.

Das ist der Anfang: Dichte Schleier lichten sich allmählich, wie gleich danach das Bewußtsein des Prinzen langsam erwacht Dann ist die leere,' übergroße Bühne zu sehen, die seitlich und oben von sieben sehr schmalen, grauen Schleiern begrenzt wird. Der Bühnenbildner Hans-Ulrich Schmückle bietet weder Garten noch Saal, weder Schlachtfeld noch Gefängnis. Nichts als die sehr niedrige Silhouette einer Hütelkette im Hintergrund am Anfang und Ende des Stücks, gelegentlich ein Hocker, ein Tisch, ansonsten Leere, aber eine sehr beeindruckende. Die Darsteller heben sich davon wirkungsvoll ab, sie ordnen sich in loser Reihe von hinten kommend parallel zur Rampe, symmetrische Stellungen werden bevorzugt, wobei es immer wieder die beliebten, allerdings nicht mehr neuen Silhouettenwirkungen gibt. Berichte erstatten die Darsteller nicht denen, die es angeht, sondern direkt dem Publikum. Auflockerung dieses optischen Rituals: Der Prinz setzt sich immer wieder auf den Boden, er schreibt auf einem Hocker. Im übrigen wird die Schlacht von Fehrbellin durch die Kostüme -Entwurf Sylta Busse - in den Anfang des 19. Jahrhunderts verlegt.

Eine sehr starke Leistung: Helmut Lohner als Prinz. Da wird das Traumverhaftete ebenso glaubhaft wie der Angriffsimpetus und dann die beinahe hektische Verstörung in der Todesfurcht. Elisabeth Augustin überzeugt in der Entwicklung der zunächst schüchtern wirkenden Nathalie zur energisch Handelnden. Heinz Moog ist ein ruhig überlegener, berechtigt unmartialischer Kurfürst. Der Kurfürstin gibt Hilde Krahl Haltung. Sebastian Fischer charakterisiert, mehr als bei ihm gewohnt, den Hohenzollern, sympathische Forschheit bekundet Heinz Reincke als Kottwitz. Von Günther Fischer stammt die sporadisch eingesetzte Musik.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung