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Lebendige Wirklichkeit

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Die Zeit fürs Fortwirken der bei der Messe empfangenen Gnade ist gekommen. Die über 40.000 Ungarn, die ins Burgenland pilgerten — „Es ist, als käme der Papst zu uns nach Ungarn!“— sind heimgekehrt, und sie haben nicht nur das Erlebnis der Begegnung mit dem Heiligen Vater mit nach Hause gebracht, sondern auch das Gefühl der Grenzenlosigkeit.

Denn für sie war ja dieser Tage die Grenze in ihrer Unnatürlich-keit, wie sie einst gezogen wurde und wie sie seit über vierzig Jahren

Europa von Europa trennt, überwunden. Diese „lebendige Wirklichkeit“ - so eine Gruppe aus Nordungarn — sei Österreich zu verdanken, den Organisatoren, die die Messe in Grenznähe verlegt und die Nachbarn dazu eingeladen hatten. Inmitten der andauernden Flut der privaten und offiziellen Dankbarkeit ist diese Formulierung zweifelsohne zukunftsweisend. Die Besuche des Papstes in seiner Heimat sind sicherlich Ereignisse, die das polnische Volk in vieler Hinsicht stärken, doch zum ersten Mal hat jetzt das Kirchenoberhaupt mit seiner Gegenwart zur Annäherung von Völkern im Zeichen des Glaubens beigetragen.

Die dabei vorhandenen politischen Aspekte sind auch nicht zu vernachlässigen. Die ungarische Regierung, die ihrerseits mit einem anerkennungswürdigen Eifer zur Förderung des Ereignisses beitrug und die den anf anglichen Widerstand einiger Apparate kurzerhand eliminierte, hat nun erheblich ihren internationalen Reformruf stärken können.

Die Regierung in Budapest weiß freilich sehr wohl, daß ihre geplante neue Kirchenpolitik langfristig nicht auf solche Ereignisse bauen kann, selbst wenn sich dabei Primas Laszlo Paskai als der geeignetste Repräsentationspartner erweist.

Die massenhafte Teilnahme der ungarischen Gläubigen entsprach durchaus dem Konzept des neuen Kardinals, der auf dem Wege der Bewegung katholischer Menschenmassen das stabüe Verhältnis zwischen Kirche und Staat vor aller Welt präsentieren will. Dies ist gewiß viel mehr als „die Politik der kleinen Schritte“ seines Vorgängers, doch weitaus weniger als das, was von der ungarischen Hierarchie in bezug auf die dringende Notwendigkeit der Rückkehr der Kirche ins gesellschaftliche Geschehen erwartet wird.

Doch in dieser Hinsicht läßt der Primas wieder einmal Vorsicht und Umsicht walten; in kircheninternen Kreisen ist es kein Geheimnis, daß er die Position der Reformführung als noch bei weitem nicht gesichert betrachtet, und indem er fürs Abwarten plädiert, begnügt er sich mit verbalen Beteuerungen.

Es wäre wohl kleingläubig, die spirituelle Bedeutung der Messe in Trausdorf verringern zu wollen, doch sie und Ereignisse ähnlichen Charakters ersetzen keineswegs Taten, ohne die selbst Papstbesuche langfristig ihre Bedeutung zu verlieren drohen. Es geht darum, daß trotz der Demonstration von Kraft und Herrlichkeit die ungarische Kirche sich in einer äußerst kritischen Phase befindet. Von den über 5,6 Millionen Katholiken des Landes werden lediglich 20 Prozent kirchlich betreut.

Obwohl die Bischofskonferenz ein Programm für Famüien- und Jugendpastoral zwecks Uberwindung der Stagnation erarbeitet hat, verfügt sie immer noch nicht über ein Konzept zur Sicherung der Rückkehr der Kirche ins gesellschaftliche Geschehen, die nur durch die Neugestaltung ihres Verhältnisses zum Staat möglich wäre.

Die diesbezüglichen Annäherungsversuche der ' Regierung werden jedoch bald sinnlos, wenn die Oberhirten weiterhin die staatüchen Eingriffe in ihre Personalpolitik und die Zensur ihrer Rundschreiben hinnehmen, wobei dies nicht einmal öffentlich kritisiert werden kann, zumal die katholische Presse immer noch vom staatlichen Kirchenamt gelenkt wird.

Nach dem Fest sind die ungarischen Püger in diese Wirklichkeit zurückgekehrt. Wird die Kraft, die sie aus dem Erlebten geschöpft haben, bis zum von Kardinal Paskai angestrebten Papstbesuch in Ungarn währen?

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