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Leibgardist und Kleinbürger

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Das Budapester Vigszinhäz ist heuer 75 Jahre alt, eröffnet wurde es in jenem Millenniumjahr 1896, in dem das bereits von schweren innenpolitischen Krisen geschüttelte Land mit letzter großer Pompentfältung das tausendjährige Bestehen Ungarns feierte. Die Gründung des Theaters fiel also damit schon in die Spätzeit des ungarischen Liberalismus, aber im Vigszinhäz lebten einige von dessen Idealen, wie Weltoffenheit, Urbanität, Modernität, weiter, und tatsächlich erwies sich dann das Vigszinhäz — dessen Name eigentlich Vigjätek-szinhäz, Lustspieltheater, heißen müßte — als jenes Theater der ungarischen Hauptstadt, mit dem sich das Budapester Bürgertum auch später noch am meisten identifizieren konnte.

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Das Budapester Vigszinhäz ist heuer 75 Jahre alt, eröffnet wurde es in jenem Millenniumjahr 1896, in dem das bereits von schweren innenpolitischen Krisen geschüttelte Land mit letzter großer Pompentfältung das tausendjährige Bestehen Ungarns feierte. Die Gründung des Theaters fiel also damit schon in die Spätzeit des ungarischen Liberalismus, aber im Vigszinhäz lebten einige von dessen Idealen, wie Weltoffenheit, Urbanität, Modernität, weiter, und tatsächlich erwies sich dann das Vigszinhäz — dessen Name eigentlich Vigjätek-szinhäz, Lustspieltheater, heißen müßte — als jenes Theater der ungarischen Hauptstadt, mit dem sich das Budapester Bürgertum auch später noch am meisten identifizieren konnte.

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Und so war es noch jahrzehntelang und ist gewissermaßen auch heute noch das typischste Budapester Theater, und dies nicht trotz, sondern gerade infolge seines modernen, weltoffenen Programms, das von Anfang an in der Überzahl ausländische Autorennamen — von Shaw bis Tschechow, von O’Neill bis Pirandello — aufwies und daneben auch bestes Boulevardtheater kultivierte.

Das Vigszinhäz war immer ein Theater starker Schauspielerpersönlichkeiten, ein Theater der Schauspieler sozusagen, darin dem Theater in der Josefstadt ähnlicher als dem Volkstheater, mit dem aber schon früh Kontakte bestanden: Beide

Häuser wurden von den Wiener Theaterarchitekten Fellner und Helmer gebaut, und das Volkstheater gastierte wiederholt, unter anderem mit Moissi und Bassermann, im Vigszinhäz. Jetzt erst kam es zu dem längst fälligen Gegenbesuch. Ihr kurzes Gastspiel eröffneten die Budapester mit einem Stück ihres berühmtesten einstigen Hausautors, Ferenc Molnär.

Das 1910 im Vigszinhäz urauf- geführte Stück „A testör“ — der Leibgardist, hierzulande unter dem treffenderen Titel „Der Gardeoffizier“ bekannt — ist auch den Wiener Theaterbesuchern ein Begriff. Immer wieder wurde es auf Wiener Bühnen gespielt, zuletzt vor wenigen Jahren in den Kammerspielen, damals mit Susanne von Almassy und Kurt Heintel in den Hauptrollen. Die Budapester zeigten aber trotzdem einen neuen, fast fremdartigen, weil bei uns schon fast vergessenen „Molnär“, eben ihren Molnär, Molnär auf ungarisch, nicht nur der Sprache nach.

Sie spielten ihn komödiantischer, naiver, robuster, lustiger und zugleich romatischer, als man sonst gewohnt ist, mit einem Schuß von Provinziellem, das auch Molnär vorgeschwebt haben mochte. Nichts wurde vergessen. Weder die authentischen Requisiten einer Budapester Schauspielerwohnung um das Jahr 1910 noch solche Kleinigkeiten bei den Garderoben oder solche Nuancen und Anspielungen im Text, die man heute auch in Budapest nicht so ohne weiteres versteht.

Den eifersüchtigen Schauspieler- Ehemann, der in der Montur eines Gardeoffiziers seine liebeshungrige Frau auf die Probe stellt und dabei Sieg und Niederlage gleichzeitig auskostet, spielte Ivän Darvas, seine romantisch veranlagte Frau, die Primadonna, Eva Ruttkai, den Kritiker Antal Päger: alle drei in allen Abstufungen der Leidenschaft, der Resignation und der Ironie überzeugend, ergreifend, besonders auch in den Szenen, die daran erinnern, daß Ferenc Molnär nicht nur ein Lustspielautor, sondern auch ein Dichter war.

Das zweite Stück dieses Gastspiels, „Adäshiba“, Sendestörung, bot ein mit leichter Hand skizziertes Zustandsbild einer ungarischen Kleinbürgerfamilie, die dem Fernsehen und den Möglichkeiten einer bescheidenen Wohlstandsvermehrung nach schweren Zeiten derartig verfallen ist, daß sie gar nicht merkt, wenn einmal jemand sie an echte Gefühlswerte, an ein höheres Lebensprinzip erinnern will. Dieses Jemand, ihr Untermieter „Emberfi“, Menschensohn, auch „Krisztosz“ genannt, versucht es, aber vergeblich. Der Autor der von einem Ensemble des Vigszinhäz hervorragend gespielten „Komödie“, Käroly Szakonyi, Jahrgang 1931, tastet sich mit sauberen Mitteln, wenn auch etwas naiv, an ein Grundproblem unserer Zeit heran, das anscheinend alle ideologischen Barrieren überlagert. Die Schauspieler sowie der Regisseur beider Aufführungen und Direktor des Hausos, Zoltän Vdrkonyi, wurden vom Publikum lebhaft gefeiert.

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