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Lieber Papst Johannes...
Vor dreißig Jahren eröffnete Papst Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil. Zum Jahrestag dieses Ereignisses schreibt ein junger Jesuit einen Brief an den 1963 verstorbenen Pontifex.
Vor dreißig Jahren eröffnete Papst Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil. Zum Jahrestag dieses Ereignisses schreibt ein junger Jesuit einen Brief an den 1963 verstorbenen Pontifex.
Lieber Papst Johannes,
als Du vor dreißig Jahren, am 11. Oktober 1962, das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet hast, war ich eben sieben Tage alt. Die Einberufung dieses Konzils galt Dir als wichtigste Entscheidung Deines langen Lebens.
Nichts wurde für unsere Kirche in diesem Jahrhundert so folgenreich wie dieses Reformkonzil. In letzter Minute war es der großangelegte Versuch, sich den Herausforderungen der Moderne konstruktiv zu stellen, statt sich nur gegen sie abzugrenzen und sie zu verwerfen. „Aggiornamento" lautete dazu Dein Stichwort: das Bemühen, die Kirche so auf die Höhe der Zeit zu bringen, daß sie die Frohe Botschaft den Menschen glaubwürdig bezeugen und verkündigen kann.
Die Pfarre, in der ich groß wurde, entstand während der Konzilszeit. Patron ist der irische Glaubensbote Kolumban, der über den Bodensee nach Bregenz kam. Deshalb hat der Kirchenbau außen die Form eines Schiffes. Will sagen: Christsein heißt unterwegs sein auf dem Meer der Zeit. Die drei Bankblöcke im Kircheninnern sind auf eine Mitte hin, den Altartisch, gerichtet. Die Glaswände zeigen ihre Farben erst, wenn man in die Kirche hineingeht. Transparenz von innen nach außen.
Kirche lernte ich so kennen als einen Ort, an dem Menschen sich versammeln, um sich in das Leben
Jesu zu vertiefen: in sein Handeln und Sprechen, sein Leiden und Sterben, seine Auferstehung. Von klein auf wurde ich damit vertraut gemacht, daß Kirche Feiern bedeutet, Freude über das Erlöstsein.
Drei Jahrzehnte später erlebe ich die Auseinandersetzungen um die Auslegung des letzten Konzils live mit. Ist der Disput um die rechte
Interpretation nur ein Streit um Buchstaben? Theologisches Finger-hakeln?
In Deiner Eröffnungsansprache hast.du geredet von „Unglückspropheten, die immer nur Unheil voraussagen, als ob der Untergang der Welt unmittelbar bevorstünde". Sie sind wieder da, diese Kassandren, und sie sind zahlreich geworden. Penibel fahnden selbsternannte Wächter nach mißlungenen „Experimenten", überängstlich besorgt um den „wahren" Geist, die „reine", „unverfälschte" Lehre.
Wir hören: „Einheit ist wichtig" und verstehen: „Vielfalt ist gefährlich." Wir sind aufgefordert: „Trag was bei" und spüren: „Nur nicht deine eigene Meinung." Wir lesen: „Es gibt irrige theologische Positionen" und wissen: „Die Glaubenskongregation soll endlich durchgreifen!" Ermuntert wird zum Gespräch, im geheimen wandern Dossiers über die Alpen. Schauen diese Unglücksraben nicht zuviel auf Zahlen statt auf Menschen?
Lange Zeit schienen die zu schweigen, die maßgeblichen Anteil an den Errungenschaften des Konzils hatten. Heute lautet ihr manchmal verzweifelter Appell an die vielen, die gehen: „Auftreten, nicht austreten." Sie lassen sich nicht verketzern oder der Rebellion bezichtigen. Sie wollen nicht zurück zur Zweiklassengesellschaft von Klerus und „Laien". Sie respektieren den Papst, am Abbau des vatikanischen Zentralismus bleiben sie interessiert. Sie freuen sich, daß Communio und Dialog statt Hierarchie und Autorität im Vordergrund stehen sollen. Wer heute christlich lebt, will nicht, daß ihm oder ihr im buchstäblichen Sinn des Wortes wieder der Rücken zugewendet wird. Weder in der Messe noch bei anderen Begegnungen.
Lieber Papst Johannes, Du wurdest papa buono gerufen. Stecke uns in dieser „winterlichen Zeit" alle an mit Deiner Güte, die ihre Kraft aus dem Evangelium schöpfte. Begleite, was an Gutem aus diesem Konzil entstanden, was weiter gewachsen ist, was in Zukunft werden soll.
Das erbittet in christlicher Verbundenheit
Dein
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