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Mischmasch

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Auch heuer bringen die Wiener Festwochen unter dem nur in der Jahresziffer geänderten Titel „Arena 72“ im Museum des 20. Jahrhunderts Aufführungen, die von den laufenden Produktionen an Groß- und Kleinbühnen stärker abweichen. Diesmal wurde von der Rundtheateranordnung abgegangen, die Sitzreihen befinden sich ansteigend an zwei gegenüberliegenden Seiten der Spielfläche. Als Auftakt brachte das „Young Vic“, eine vor zwei Jahren gegründete Jugendgruppc des Britischen Nationaltheaters „Old Vic“, eine Wiedergabe der Komödie „Der Alchimist“ von Ben Jonson in freier Bearbeitung.

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Auch heuer bringen die Wiener Festwochen unter dem nur in der Jahresziffer geänderten Titel „Arena 72“ im Museum des 20. Jahrhunderts Aufführungen, die von den laufenden Produktionen an Groß- und Kleinbühnen stärker abweichen. Diesmal wurde von der Rundtheateranordnung abgegangen, die Sitzreihen befinden sich ansteigend an zwei gegenüberliegenden Seiten der Spielfläche. Als Auftakt brachte das „Young Vic“, eine vor zwei Jahren gegründete Jugendgruppc des Britischen Nationaltheaters „Old Vic“, eine Wiedergabe der Komödie „Der Alchimist“ von Ben Jonson in freier Bearbeitung.

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Diese Gaunerkomödie führt einen Butler, einen falschen Alchimisten und eine Dirne vor, die, während der Herr des Hausverwalters länger abwesend ist, in seinem Haus zum Schein eine Alchimistenwerkstatt errichten, um unter der Behauptung, den Stein der Weisen zu erzeugen, möglichst vielen Leuten Geld und Wertgegenstände herauslocken. Die überlegen geführte Handlung legt in allen die Habgier als Triebkraft bloß, die Menschen teilen sich in Scharlatane und Einfaltspinsel, die Betrüger sind bestrebt, sich gegenseitig zu betrügen.

Die Alchimie fixiert das Stück in seiner Entstehungszeit 1610. Alles andere aber wirkt heutig. Daher hat das „Young Vic“ die Handlung in die Gegenwart verlegt, wodurch sich nun freilich Diskrepanzen ergeben, die sie durch mancherlei Steigerung ins Burleske überspringen: Der kritische Gehalt wird verringert, Klamauk triumphiert. Unter der Regie von Frank Dunlop stellt der fast gnomenhafte lan Trigger den „Alchimisten“ in verschiedenen Verkleidungen dar. Gespielt wird mit außerordentlichem Temperament, mit erheblichem Elan. Die Darsteller — vor allem auch Nigel Hawthorne als Butler, Denis Coffey als Dirne — sind ungleich wendiger, gelenkiger als unsere Schauspieler. Die Bühnenbildlösung: ein grüner Teppich als Rasen vor einem Gerüst mit vorhangverdeckten Spielflächen als fiktive Hauswand. Wolfgang Ambros verkündet im Sprechgesang zur Gitarre die einzelnen Auftritte, versteht sich, hochmodern: in ordinärer Hawerer-Mundart.

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Im Metro-Kino gibt es eine Aufführung ohne Programmzettel. Laut Ankündigung im Festwochenprogramm wird da „King-Kong-King — Mayer-Mayer-Ling“ von Andre Heller unter der Regie des Autors mit Erika Phihar gespielt. Im Titel steckt das Wort „Mayerling“, daher geistert auf der Bühne eine Irrsinnige in Krinoline herum, die gelegentlich etwas von „Rudolf“ — personifiziert in einem Luftballon — schwätzt, ein Mannsbild in der Leihuniform eines altösterreichischen Offiziers — laut Plakat ist es Herwig Seeböck — stellt sich zu ihr, winkend danken sie kurz einer nicht vorhandenen huldigenden Menge, er bringt den Ballon zum Platzen, sie brüllt „Mörder“, beide zerschlagen Teller, er schreit, alles sei hin in Wien, worauf sich beide schlafen legen und das Licht löschen. — Heller stellt Popanze auf, gegen die er sich offenbar mit Ingrimm exaltie-rend in Positur stellen möchte, aber das Vermögen dazu versagt sich ihm. Es fehlt das Salz, man soll aber auch nicht von Poesie sprechen, das hieße, diesen Begriff allzusehr abwerten. Ausstatter ist laut Festwochenprogramm Hubert Aratym. Man erkennt ihn nicht wieder, er empfiehlt sich hier als Gemeindewohnungseinrichter.

Im „Theater am Belvedere“ erhält man wieder, wie schon vordem, einen Einblick in die Bühnendichtung der zwanziger Jahre. Franz Theodor Csokor bietet in seinem Mythos „Der Baum der Erkenntnis“ die Beziehung zwischen Mann und Weib vom Erleiden der Liebe bis zur Mutterwerdung von allem Individuellen entblößt in einer Urzeit dar. Noch vor Werfel tritt da das Ich des Mannes zweigeteilt auf, in den Verkörperungen männlicher Liebe und als Schatten männlicher Lust. Die abbrevierte Sprache setzt Wesentliches gegen Wesentliches, Gedankendichtung schwingt ins Lyrische aus. Unter der behutsamen Regie von Irimbert Ganser spielen Rosemarie Weißenberger, Max Sandor und Erhard Pauer schlicht die drei Rollen. Bert Bren stattete den Schauplatz mit Tierfellen aus, Sigrid Kulmer kleidete die Darsteller in Fetzen aus Sackleinwand.

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Es gibt immer wieder Entdeckungen: Etwa die geheime Erotik von Hochhäusern, richtiger, die sich in ihnen bietenden neuen Möglichkeiten. So zeigt Christina Kövesi in dem Stück „Drei Zwillinge“ — uraufgeführt in den Kammerspielen — „heitere Bilder aus dem. Eheleben“, das heißt, der sich besonders gewitzt dünkende Herr Andreas hat seine Frau im dritten Stock und seine Freundin im neunten untergebracht, wobei die Wohnungen völlig gleich eingerichtet sind, damit er sich in den jeweiligen Handgriffen nicht irrt. Die sich dennoch zur Erheiterung des Publikums einstellenden Verwicklungen ergeben sich aus routiniert angewandter Boulevardmathematik. Fritz Muliar ist dieser Andreas in Nöten, Waltraut Haas und Christiane Rücker bilden das attraktive Gegenspiel. Ergebnis: In der Kövesi haben wir also eine muntere Boulevardeuse. Mit ungarischem Namen. Auch nicht schlecht.

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