6807503-1972_15_12.jpg
Digital In Arbeit

Verbrechen am Menschen

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt Menschen, die für die eigene Familie erraffen, was sie nur erraffen können. Ist dies Egoismus? Es gilt der „Grundlage des Staats“, kann aber fremde Opfer fordern. Familiensinn kontra Moral ist der Vorwurf des vor 25 Jahren entstandenen Schauspiels „Alle meine Söhne“ von Arthur Miller, das derzeit im Akademietheater gegeben wird. Es geht um Verantwortung.

Der amerikanische Fabrikant Joe Keller scheffelt Geld für Frau und Söhne, er handelte verantwortungslos, als er während des Kriegs den Tod von 21 Fliegern verschuldete, weil er schadhafte Zylinderbestandteile für Flugzeugmotoren geliefert hatte. Es gelingt ihm, daß die Schuld allein seinem Kompagnon angelastet wird, der nun im Gefängnis sitzt. Wie es nun kommt, daß sich sein jüngerer Sohn gegen ihn stellt und Joe sich erschießt, als er vom seinerzeitigen Freitod des älteren Sohns erfährt, der sich wegen dieser Vorfälle das Leben nahm, das wird breit aufgefächert vorgeführt.

Das heutige Theaterstück zeigt nur noch das Unheile, klaffende Diskrepanzen auf. In Millers Schauspiel aber befindet sich die Welt, wie bei der früheren Dramatik, im Gleichgewicht: Der Verantwortungslose zieht sich selbst zur Verantwortung. Es waltet auch hienieden Gerechtigkeit. Durch die grauenhaften Begebnisse, von denen wir Tag für Tag sich steigend erfahren, stimmt dies — bittere Feststellung — derzeit mit der Realität nicht überein, wird fast zur Schreibtischphantasie. Dem dient überdies Ibsensche Enthüllungsmethode, mancherlei Herkömmliches, eine weitverzweigte, sich bedacht kausal aufbauende Konstruktion, die unsere hektische Zeit nicht zu spiegeln vermag.

Das Stück zu straffen wäre nötig. .Vermutlich befürchtet Regisseur Rudolf Steinboecfc, es könnte dann allzu klapprig wirken. So ist er auf ruhige Ausbreitung alles Seelischen Bedacht. Die Hausterrasse vor der planen Ansicht des Hauses von Lois Egg eignet sich dafür durchaus. Ewald Baiser legt den Joe zunächst spießerhaft heiter an, vermag später zu ergreifen. Seiner Frau, die an der Fiktion, ihr toter Sohn lebe noch, festhält, gibt Käthe Gold die Hartnäckigkeit der nur scheinbar Versponnenen. Vorzüglich profilieren Joachim Bissmeier den Sohn und Sylvia Lukan die Tochter.

Die szenische Schwarz-in-Schwarz-Malerei neuerer Bühnenwerke erreicht ein abermaliges Optimum in dem Volksstück „Sauschlachten“ des 28jährigen Kärntners Peter Turrini, das im Volkstheater in der Osterwoche zur Premiere gelangte. Über die Linzer Aufführung des Stücks vor etwa zwei Monaten wurde in der „Furche“ ausführlich berichtet. Diese kaum noch steigerbare Orgie an Brutalität, bei der schließlich ein junger Bauernbursch, der nicht mehr sprechen kann, nur noch grunzt, als „Sau“ abgeschlachtet wird, erweckt den Eindruck, daß es Turrini viel mehr auf ein möglichst ausführliches, beinahe lustvolles Vorführen all der Grausamkeiten ankommt als auf die Anprangerung bestialischer Aggressivität gegenüber einem Mitmenschen, der anders ist und sich seltsamerweise überhaupt nicht wehrt. Anders gesagt, die politische Anwendbarkeit als Parabel unschuldig Verfolgter geht aus dem Stück nicht hervor, sie wird nur hinterher behauptet. Begründung: Das Opter ist Turrini völlig gleichgültig, wir erfahren daher nichts über die Ursache seines Nicht-sprechen-Kön-nens. Nur wenn uns das Opfer menschlich nahe käme, könnten wir den Mißhandelten mit den von den Terroristen in aller Welt Gefolterten gleichsetzen. Da dies nicht der Fall ist, verliert das Stück an szenischer Berechtigung. Ironie über verlogene Heimatliebe wirkt nur aufgesetzt, ändert daran nichts. Beachtlich ist die vorzügliche Zeichnung der Gestalten.

Unter der Regie von Bernd Fischerauer, der auch das naturalistische Bühnenbild entwarf, werden die Brutalitäten so brutal als möglich ausgespielt. Bedauernswert ist der Darsteller des Opfers: Arnfried Hanke. Herbert Probst und Luise Prasser als Eltern, Alexander Grill als Bruder, der erstaunlich sich entwickelnde Ernst Meister als Knecht und Friederike Weber als Magd zeichnen beklemmend wirkende Gestalten. Die allzu konventionell angelegten Dorfhonoratioren erhalten durch ihre Darsteller andeutende Charakterisierung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung