6841281-1975_45_11.jpg
Digital In Arbeit

Gesellschaftskritik

19451960198020002020

Gesellschaftliche Zustände durch Vorführen von unerfreulichen, ja, verbrecherischen Vorgängen zu kritisieren, wurde in letzter Zeit von den Theatern bevorzugt. Diesem Bestreben ordnet sich, allerdings historisierend durch krasse Gesellschaftskritik von einst, die bittere, derzeit im Akademietheater wiedergegebene Komödie „George Dandin“ von Moliere zu.

19451960198020002020

Gesellschaftliche Zustände durch Vorführen von unerfreulichen, ja, verbrecherischen Vorgängen zu kritisieren, wurde in letzter Zeit von den Theatern bevorzugt. Diesem Bestreben ordnet sich, allerdings historisierend durch krasse Gesellschaftskritik von einst, die bittere, derzeit im Akademietheater wiedergegebene Komödie „George Dandin“ von Moliere zu.

Werbung
Werbung
Werbung

Diesem George Dandin, einem reichen Bauern, der Angelique, die ge-finkelte Tochter eines Landedelmannes, geheiratet hat, gelingt es nicht, den adelsstolzen Schwiegereltern die Untreue seiner Frau nachzuweisen, ja, er muß ob seiner Anschuldigungen noch Abbitte leisten. Der Regisseur Jean-Paul Roussillon läßt die Vorgänge unglaubwürdig in einer von Jacques Le Marquet entworfenen Scheune vor Dandins Haus spielen. Weshalb wohl? Wände aus Holzgittern ergeben Silhouetteneffekte. Die adelsstolzen Schwiegereltern — Wolfsrang Gasser und Judith Holzmeister — bewegen sich, im Gegensatz zu den anderen Gestalten, gestelzt marionettenhaft. Aha, optische Gesellschaftskritik. Kurt Beck ist, merkbar durch den Regisseur bedingt, ein rechter Misthaufenbauer. Den hätte Angelique, glaubhaft von Sylvia Lukan gespielt, wohl nicht einmal damals unter Zwang geheiratet. Neuinterpretationen sind willkommen, aber sie müssen überzeugen.

Vor der Pause sieht man Molieres wenig bekanntes ^Impromptu von Versailles“, die erste Probe eines seiner Stücke, das unter seiner Leitung und Mitwirkung bereits zwei Stunden später dem König dargeboten werden soll. Moliere antwortet darin seinen Angreifern, gibt den Schauspielern Anweisungen. Kurt Beck spielt, ebenfalls unter Roussillons Regie, den Moliere, allerdings zu sehr als Durchschnittskopf.

*

Scharfe Gesellschaftskritik gibt es auch in dem fast vor 100 Jahren entstandenen Schauspiel „Die Stützen der Gesellschaft“ von Henrik Ibsen, das derzeit im Theater in der Josefstadt aufgeführt wird. Dabei zeigt sich ein entscheidender Unterschied zu Moliere, zu heute: Der Reeder Konsul Bernick, der reichste und angesehenste Mann einer norwegischen Küstenstadt, wird von seinen Mitbürgern als Vorbild an Ehrenhaftigkeit und moralischem Wandel bewundert, wir erfahren aber, welche Gemeinheiten er begangen hat, um sein Unternehmen vor dem Zusammenbruch zu bewahren, ja, er zeigt sich aus eigennützigen Gründen bereit, seinen Schwager auf einem verbrecherisch mangelhaft reparierten Schiff dem Tod zu überantworten. Während es nun heutige Autoren wohl bei diesem Tatbestand bewenden ließen, um durch das Aufgedeckte möglichst revolutionär „ge-sellschaftsverändernd“ zu wirken, bekennt dieser Konsul anläßlich einer Huldigung ihm zu Ehren — nicht sehr glaubhaft — öffentlich seine Verfehlungen. Letztlich kommt alles ins Lot. Neunzehntes Jahrhundert.

Unter der vorzüglichen Regie von Leopold Lindtberg gibt es keine verändernden Eingriffe, alles dient bis in Nuancen der Wirkung des Stücks. Kurt Heintel als herrischskrupelloser Konsul, Marion Dealer als seine emanzipierte Gegenspielerin beeindrucken besonders. Aber auch Peter Neusser, Alfred Reiterer jind Harald Harth, in Abstand “Susanne Granzer heben sich unter den übrigen Mitwirkenden heraus. Was durch die Besetzung nicht stimmt, sind die Altersbezüge der Gestalten untereinander. Matthias Kralj entwarf das noble Gartenzimmer, Hill Reihs-Gromes die zeitgemäßen Kostüme.

Vor einem Jahr war im Altelier-theater das Stück „Stallerhof“ von Franz Xaver Kroetz zu sehen. Eine Fortsetzung, „Die Geisterbahn“, gelangte nun an der gleichen Bühne zur Uraufführung. Die debile Bauerntochter Beppi ist nun Mutter, zieht, von den Eltern weiterhin verachtet, zum Vater ihres Kindes, dem verhemmten älteren Knecht, der aber bald stirbt. Als ihr nun die staatliche Fürsorge den geliebten Georg in ein Heim stecken will, tötet sie ihn und legt das tote Kind in der Geisterbahn ab, wo die Beziehung zu dem Knecht begann.

Kroetz erklärt mit Nachdruck, es gehe in diesen beiden Stücken um theatralische Information, um Aufklärung. Daß es debile Menschen gibt,' wissen wir. Will Kroetz somit mehr Verständnis für sie bei den Eltern dieser Kinder, bei den öffentlichen Stellen bewirken? Ethische Bestrebungen sind auf jeden Fall gutzuheißen, aber bedrängt es heute nicht ungleich mehr, daß fast täglich wertvolle, unschuldige Menschen umgebracht werden und nichts dagegen geschieht?

Wenn man davon absieht, daß die Darsteller keine bäuerlichen Typen sind, kommt unter der Regie von Peter Janisch eine treffliche, echt kroetzische Aufführung zustande: Das Wortlose mancher der fast 30 Szenen, die ständigen Pausen im Dialog, all das wird ganz im Sinn des Autors noch und noch gedehnt. Dafür freilich gibt das Stück nicht genug her. Obwohl hinter einer Netzbespannung gespielt wird, auf die während des Umbaus zwischen den Szenen Photos projiziert werden, vermindern die vielen Pausen vollends die Wirkung. Gabriela Schmoll als Beppi, Peter Josch als Knecht, Peter Janisch und Hedwig Hellwig als Beppis Eltern erspielen das mehr oder weniger Unbeholfene glaubhaft. Das Bühnenbild von Magda Strehly: graue Wände, graue Türen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung