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Narrenfreiheit für die Künstler ?

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Die Kunst ist frei - aber was ist Kunst? Und sollen Künstler mehr Freiheit genießen als jeder gewöhnliche Bürger? Die Debatte rührt an Kernfragen des Rechts in der Demokratie.

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Die Kunst ist frei - aber was ist Kunst? Und sollen Künstler mehr Freiheit genießen als jeder gewöhnliche Bürger? Die Debatte rührt an Kernfragen des Rechts in der Demokratie.

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Wer die Enquete für Freiheit der Kunst miterlebte, die kürzlich im Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Sport stattfand, konnte es mit der Angst bekommen. Nicht etwa, weil irgendwo Anzeichen für eine Bedrohung der Freiheit aufgezeigt worden wären. Man ist vielmehr, in der besten Absicht, die Freiheit nach allen Richtungen abzusichern, auf dem besten Wege, die Kunst aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang zu lösen.

Wir wissen alle, wohin die Immunität unserer Volksvertreter geführt hat. Sie hat gute historische Gründe, führt aber den unprivilegierten Bürger oft genug zu der Überlegung: was der da redet, kann er auch nur unter dem Schutz der Immunität riskieren. Unsereiner würde vor den Kadi gebracht. Die Immunität für Künstler würde die scheinbar Privilegierten in ein gesellschaftliches Abseits bringen, würde sie aus jeder Verantwortung für die Gemeinschaft entlassen — oder verdrängen.

Wenn der Künstler wirklich so sensibel ist für die Probleme und Nöte von Gegenwart und Zukunft, dann soll er sie deutlich und gezielt aussprechen, auch wenn es weh tut. Es tut aber nicht weh von einem, der von vornherein Narren-Status genießt. Da kann einer noch so schweres Geschütz auffahren.

Manchmal tut einem der Schauspieler auf der Bühne mit seinen „modernen“ Texten leid, wenn er verzweifelt vor dem Publikum steht und zu fragen scheint: „Wie oft muß ich denn noch .Scheiße' brüllen, bis sich endlich jemand aufregt?“

Der Künstler in der Diktatur mag mit jedem Wort, das er spricht oder veröffentlicht, Kopf und Kragen riskieren. Er kann aber darauf bauen, daß er zur Kenntnis genommen, daß er ernst genommen wird — auch und gerade von den Verantwortlichen im Staat. Er findet meist trotz aller Bedrängnis den Weg zum Publikum: beide Partner entwickeln eine Sprache, eine Hellhörigkeit, die eine Verständigung an der Zensur vorbei möglich macht. Wieviel Kunst und Witz haben schon Kabarettisten in Diktaturen aufgewendet, um mit kleinen Andeutungen ein sensibles und wissendes Publikum zum Lachen zu bringen. Und wie müssen sich unsere Kabarettisten plagen, die alles (fast alles) beim Namen nennen können und doch kaum die Reaktion eines „Betroffenen“ erleben dürfen.

Wir können den Kabarettisten nicht helfen. Wir können und wollen auch nicht den Dichtern Unfreiheit bescheren, damit sie besser dichten können. Aber es muß dem Nicht-Künstler noch erlaubt sein, sich beleidigt, in seinen religiösen oder sittlichen Gefühlen verletzt zu fühlen und gegen den Künstler auf den üblichen Rechtswegen vorzugehen. Und zwar im Interesse der Künstler selbst!

Als Thomas Bernhard seine letzten Beschimpfungen losließ, als er globale Attacken auf Österreich und seine Politiker ritt, war die vorherrschende Reaktion nicht „typisch Österreich“, sondern „typisch Thomas Bernhard“. Die Politiker müssen sich von vielen Seiten sehr harte Beschimpfungen, Verhöhnungen, Karikierungen gefallen lassen. Sie tun es, weil sie ein dickes Fell haben oder weil sie vermuten können, daß es ihre Popularität steigert. Auch dünnhäutige Künstler können durch „Verfolgung“ Popularität gewinnen.

Wo ist die Sekanina-Komödie?

Ein Künstler, der ganz im allgemeinen schimpft, kann nicht wirklich belangt werden. Niemand wird ihm besonderen Mut bescheinigen. Man möchte sich wünschen, daß die Schriftsteller endlich zu Verantwortung und Risikobereitschaft fänden und die Probleme behandelten, die die

Menschen wirklich bewegen, etwa Zerstörung der Natur, Einsamkeit, Ubermut der Privilegierten, leistungsfeindliche Ge-werkschafts-Mentalität. Satirische Übertreibungen wären zu begrüßen — wenn sie überhaupt möglich sind. Wer brächte wohl Mut und Humor auf für eine Se-kanina-Komödie?

Unmöglich und auf die Dauer für die Kunst tödlich ist es aber, daß der Künstler beleidigen und sich beleidigt fühlen, aber niemals für seine Beleidigungen belangt werden darf. Bereits 1974 hat Alois Brandstetter in seinem Buch „Zu Lasten der Briefträger“ eine Thomas-Bernhard-Parodie geschrieben, in der er sich über den Masochismus der Kulturpolitiker lustig machte, die dem die meisten Preise verleihen, der sie am besten beschimpft. („So schnell können die Kulturpreisverleiher gar nicht verleihen, oft ist unser ortsansässiger Dichter noch kaum vorgeschlagen, da schlägt er auch schon zurück.“) Dieses Kapitel hat der Verleger vor Erscheinen des Buches stillschweigend aus dem Manuskript entfernt. Denn er verlegte auch Thomas Bernhard und erhoffte sich weitere gut gehende Bücher von ihm.

Aber damals war die Freiheit der Kunst (die ja auch für Alois Brandstetter gelten muß) noch nicht in der Verfassung verankert.

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