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Ostkunst - Oberfläche und Untergrund

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„Dagegen: Verbotene Ostkunst 1948-1989” ist der Titel einer Wanderausstellung, die im Linzer Stadtmuseum Nordico ihre fünfte Station erreicht hat. 124 Exponate aus sieben osteuropäischen Staaten ziehen Bilanz über vier Jahrzehnte kommunistischer Diktatur im Glacis der Sowjetmacht, führen vor Augen, was an der Oberfläche im Talmiglanz erstrahlte und was zugleich im Untergrund glühte.

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„Dagegen: Verbotene Ostkunst 1948-1989” ist der Titel einer Wanderausstellung, die im Linzer Stadtmuseum Nordico ihre fünfte Station erreicht hat. 124 Exponate aus sieben osteuropäischen Staaten ziehen Bilanz über vier Jahrzehnte kommunistischer Diktatur im Glacis der Sowjetmacht, führen vor Augen, was an der Oberfläche im Talmiglanz erstrahlte und was zugleich im Untergrund glühte.

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Nicht nur, was der Titel ankündigt, wird gezeigt, nämlich die als formalistisch und dekadent verfemte progressive Kunst. Sondern ihr wird auch in zahlreichen Beispielen die offizielle Staatskunst gegenübergestellt, die als „Sozialistischer Realismus” ebenso zu einem Begriff geworden ist wie der „Reale Sozialismus”.

Die totalitären Systeme von vorgestern und gestern haben, mit umgekehrten Vorzeichen, vieles gemeinsam, auch was die Kulturpolitik betrifft. Es gab zwar kein Malverbot, wohl aber ein Verkaufsverbot, was im Endeffekt dasselbe bewirkte: unbotmäßigen, von westlichem Gedankengut „verseuchten” Künstlern die Grundlagen ihrer Existenz zu entziehen und sie solcherweise kirre zu machen. Förderungsmittel flössen reichlich für die Systemkonformen. Aufmüpfige hatten nichts zu erwarten, und ausstellen konnten sie im Hinterstübchen unter Ausschluß der Öffentlichkeit.

Die Situation war in den Ländern des sowjetischen Imperiums unterschiedlich: Am restriktivsten war sie in der Tschechoslowakei, am großzügigsten wurde die reine Lehre des Marxismus-Leninismus in Ungarn ausgelegt. Aber auch dort hatte die Toleranz ihre Grenzen. Die Ausstellung zeigt, daß in DDR, CSSR, Polen und Ungarn die progressiven Künstler über die zeitgenössischen Strömungen im Westen wesentlich besser informiert waren als in Rumänien und Bulgarien, wo sie an den Stand der Vorkriegszeit anknüpften. Das hat mit der geographischen Lage zutun, denn die Kommunikation erfolgte vor allem über das Fernsehen.

Otto Staininger, der Gestalter der Ausstellung und des Katalogbuches mit informativen Texten und Abbildungen aller Exponate, unterhielt schon jahrelang Kontakte zum Untergrund im Osten. Es war nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft schwierig für ihn, Arbeiten regierungskonformer Künstler zu bekommen, denn nur ungern wollten sie als Nutznießer und Mitläufer der Mächtigen von gestern am Pranger von heute stehen. Umgekehrt haben viele Werke, die im Untergrund entstanden, die Aktivitäten der Geheimdienste nicht überlebt. So konnte der DDR-Künstler Sieghard Pohl, der in seinen systemkritischen Bildern mit Deutlichkeit nicht kargte, vier Jahre lang in einer Anstalt darüber nachdenken, was dem Volke nützt und was ihm schadet. Während seiner Abwesenheit wurde Pohls Atelier vom Stasi geräumt. Sieben Bilder sind aus dieser Zeit erhalten geblieben. Drei davon hängen in der Ausstellung: „Der Spucknapf des Volkes”, „In der Menschenveredelungsanstalt” und „Erinnerung an einen Leipziger Wahlauftrieb”.

„Alles zum Wohle des Volkes” heißt ein Stilleben von Peter Graf, mit abgestandenem Bier und abblätternden Parolen eine recht anschauliche Satire auf das System. Zynische, an George Grosz und John Heartfield erinnernde Kritik war die eine Seite des Widerstands, die vor allem in Deutschland, der Heimat des Expressionismus, im Vordergrund stand. Die andere war nicht eine Reaktion auf die Tyrannei, sondern eine Aktion: Die Künstler verwirklichten ihre Vorstellungen auf verbotenen Wegen, wobei surrealistische ebenso wie abstrakte und absolute Malerei am eindrucksvollsten vertreten sind.

Die Ausstellung, die anschließend noch in Graz und Bozen gezeigt wird, gibt einen aufschlußreichen Einblick in eine Welt, von der wir Jahrzehnte durch den Eisernen Vorhang getrennt waren. Sie macht deutlich, daß im Osten unter schwierigen Bedingungen künstlerische Potenzen freigesetzt wurden, die einem Vergleich mit der Kunst des Westens durchaus standhalten. (Bis 17. Jänner)

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