6846462-1976_23_09.jpg
Digital In Arbeit

Praktizierte Toleranz

Werbung
Werbung
Werbung

Hörfunk-Intendant In der Maur sprach vom Modell der Toleranz, das 500 mal vorexerziert worden sei. Auch für Menschen, denen das gemeinsame Evangelium auch gemeinsame Aktionsbasis sein sollte, ist diese Toleranz nicht selbstverständlich, nicht einmal üblich, wenn durch Jahrhunderte das Verschiedene in der Auffassung des Evangeliums das Gemeinsame verdrängt hat. Um so höher ist zu werten, was in diesen acht Jahren aufgebaut Worden ist.

Zur Gestaltung und Aufnahme der 500. ökumenischen Morgenfeier, zu Vesper und Festakt ausgeweitet, waren sie — fast — alle im Großen Sendesaal des Funkhauses zusammengekommen, die in diesen Jahren direkt und indirekt an Entstehung und Gestaltung der Sendereihe Anteil genommen hatten. Die Oberhäupter der beteiligten Kirchen luden gemeinsam ein, vom Syrer bis zum Griechen — wie sie das Alphabet, nicht die Rangordnung reihte. Zwei Männer fehlten, die am Anfang wesentlich mitgewirkt hatten, die Widerstände zu überwinden: der viel zu früh verstorbene Hans Kriegl, Initiator und langjähriger Vorsitzender der Hörfunkkommission der Erzdiözese Wien, und Gerhard Wolf, Rektor am Leopoldsberg, in dessen Haus über den Weinbergen am 10. Oktober 1967 die ersten Gespräche geführt worden waren.

Es war ein langer Weg, ein Versuch, zunächst unter Freunden, mit langsamen Schritten, allmählich weitergreifend. Das Konzil hatte den Boden geebnet — wo wäre es vorher möglich gewesen, daß sich Katholiken und Evangelische, Orthodoxe und Orientalen, ja sogar Juden zusammensetzten, um das Gemeinsame hervorzuheben und das Trennende in den Hintergrund treten zu lassen?

Es bedeutete einen langen Lernprozeß für alle Beteiligten — und die Erkenntnis, daß es absolut nicht notwendig ist, heiße Eisen auszuklammern, Schwierigkeiten im Verständnis auszuweichen, wenn der andere in Seinem Mtlderk'-Svin anerkannt wird, wenn das Mißtrauen überwunden werden kann. Daß Toleranz nicht bedeutet, die Grenzen zu verwischen und auf alle prägenden Besonderheiten zu verzichten, sondern dem andern, dem Anders-Denkenden die Freiheit einzuräumen, anders zu denken, wenn man selbst die Freiheit zur eigenen Meinung in Anspruch nimmt.

Wer hätte damals gedacht, daß es möglich sein würde, einst zu diesem Jubiläum Kardinal, Metropolit und Bischöfe, Erzpriester und Superintendenten und den Vorsitzenden der Kultusgemeinde in einem Saal zu versammeln? Längst haben die Amtskirchen bestätigt, was die Vorkämpfer einst rein privat initiiert hatten. Aber auch heute noch gibt es Menschen — und wohl nicht nur im katholischen Raum —, die die altgewohnte Skepsis den „andern“ gegenüber nicht überwinden können.

Sie sind in der Minderheit. Die ökumenische Morgenfeier ist in diesen Jahren zu einer der meist gehörten Sendungen geworden. Der seit zwei Jahren laufende Manuskriptdienst steht weitaus an der Spitze aller Sendungen des ORF, deren Manuskripte angefordert werden können. Mehr als 300 feste Abonnenten beziehen sie 60 mal im Jahr, mehr als 25.000 Manuskripte wurden im Vorjahr verschickt. Weit über Österreich hinaus hören die Freunde der Ökumene zu, denn nirgends anders ist es bisher gelungen, ähnliches zustande zu bringen. Wenigstens ein Fall, in dem Österreich beispielhaft vorangegangen ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung