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Digital In Arbeit

Probleme her!

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In früheren Zeiten — unsere Älteren erinnern sich noch daran - hatte der Mensch Sorgen. Diese waren ihm mehr oder weniger von außen auferlegt, und er trug sie daher auch mehr oder weniger ergeben.

Dann wurde er die Sorgen so nach und nach los, und er bekam stattdessen Probleme. Der subtile Unterschied zwischen ersteren und letzteren: sie schließen einan der aus; Probleme kriegt man erst, wenn man keine Sorgen mehr hat. Aber das nur so nebenbei. ‘

Immerhin gestattete es die Natur der Probleme, sie in den Griff zu bekommen, wie eine gängige Metapher lautet. Diesem edlen Unternehmen verschrieb sich die Wirtschaft mit dem ganzen ihr eigenen Elan. „Problem“ wurde eines der meistbenützten Wörter, man sah an allem und jedem nicht bloß Probleme, sondern — weit bedrohlicher! — eine Problematik, man schlug sich den ganzen lieben langen Tag mit Problemstellungen herum und erheischte wie ein Verdurstender in der Wüste Problemlösungen.

Solche begann nun, wie gesagt, die Wirtschaft, konkret: ihr Herold, die Werbung, in großem Stil anzubieten. Man wollte den Menschen, dem man das Paradies madig gemacht hatte, entproblema- tisieren und ihn im irdischen Wirtschaftsparadies die Konsumseligkeit finden lassen. Nach dem Bild und Gleichnis des Spots wollte man ihn haben: jung- schwung-zisch-frisch".

Und in der Tat — es wurde Gewaltiges erreicht. Der BH löste die Figurprobleme, das Deo die Geruchsprobleme, jeweils Kompetentes die Wasch-, Spül-, Putz- und Schrubbprobleme und so weiter und so fort. Zu guter Letzt lösten die Superfilterzigaretten, in kombinierter Anwendung mit dem Supersprudel, auch alle noch verbliebenen zwischenmenschlichen Probleme in einem Aufwischen, denn mit ihnen gehörte man automatisch dazu, war beliebt, fand Kontakt, machte mehr draus — kurz, alle Probleme waren hinaus- und endloser Spaß dafür hineingezwungen.

Da merkte die Wirtschaft auf, ja, sie erschrak sogar ganz gehörig. Denn das ging ja auch wieder nicht, daß es keine Probleme mehr gab. Wie sollte man denn dann die Problemloser verkaufen, die unsere Arbeitsplätze sicherten? Lange dachte man in endlosen Krisensitzungen nach, bis endlich einem der rettende Einfall kam. Er war, wie alles Geniale, eigentlich -ganz einfach. Man mußte eben, wenn es keine Probleme mehr gab, welche erfinden!

Sofort begannen die Kreativen, kreativ zu werden, und alsbald konnten sie mit den ersten Erfolgsmeldungen aufwarten. Wer sagt denn, meinten sie, daß man einen Haarspray nur bei bestimmten Gelegenheiten braucht? Man braucht ihn immer, denn jedes Wetter, das der liebe Gott uns schickt, ist ein Problem: einmal ist es zu wärm, einmal ist es zu kalt, einmal stört uns die Sonne, einmal der Regen und dann wieder der Wind. Flugs war ein Slogan geboren: „Jedes Wetter schadet der Frisur!“ Zufrieden lehnte man sich zurück. Das war der Durchbruch. Ein Meilenstein. Der erste Schritt zur Problematisierung des Alltäglichen.

Eine schon langę nicht mehr gekannte euphorische Stimmung machte sich allenthalben breit. Die Pharmaleute entwarfen eine Strategie, die darauf abzielte, allen, die sich der Illusion hingaben, sie seien ganz gesund, klarzumachen, daß sie, wenn sie nicht ohnehin in Wahrheit allerlei Leiden mit sich herumtrügen, drauf und dran seien, dem vielfältigsten Siechtum anheimzufallen und daß infolgedessen allerraschest prophylaktische und oder therapeutische Maßnahmen zu ergreifen seien.

Die Waschpulverhersteller taten sich schwer, denn sie hatten ohnehin alle Mittel, die so weiß und hygienisch wuschen, daß es weißer, hygienischer und höher nicht mehr ging. Aber, so verkündete man, der letzte Gipfel der Sauberkeit wäre nur dann zu erreichen, wenn man die Wäsche nach dem Waschen sofort wieder in die Maschine gäbe.

Sensationell erfolgreich waren auch die Putzmittelleute, die zwar das Bad, die Küche und sämtliche Böden lebensmittel- und klinisch sauber gemacht hatten, aber erst jetzt zum wirklich großen Schlag ausholten: Was war denn mit den Wänden und Zimmerdecken, so fragten sie, wurden da nicht riesige Areale sträflich vernachlässigt, waren das nicht monströse Refugien von Schmutz und Bakterien?

Und weil man schon dabei war, dehnte man die frisch gewonnene Problemsicht auch auf die Außenwände der Häuser, die Zufahrten und -gänge, auf Gärten, Hundehütten und Schrebergartenhäuschen aus. Überall da gab es Probleme, bei deren Lösung ganz neue Generationen von Flüssigreinigern und Sprays zur Hand gehen wollten.

Das ging eine ganze Zeit so. Immer neue Probleme wurden erfunden, und die Wirtschaft florierte. Aber irgendwann kam die Angelegenheit ins Stocken. Zuerst kaum merklich, dann immer deutlicher. Die Wirtschaft, die Heerscharen von Marktforschern beschäftigte, fand auch bald heraus, woran es lag. Die Menschen spielten wieder einmal nicht mit. Sie waren so mit ihren Problemen und deren Beseitigung beschäftigt, daß sie darüber zu leben verlernt hatten und hypochondrisch und depressiv geworden waren.

Und wer weiß, wie alles geendet hätte, hätte nicht gerade noch rechtzeitig eine Gegenbewegung eingesetzt. Sie ging von Menschen aus, denen es völlig wurscht war, wenn ihnen der Wind die Haare zerzauste, ja, die sogar Spaß daran hatten, die sich mit bloß sauberer Wäsche und einer bloß ordentlichen Küche begnügten. Sie waren fröhlich, und ihre Fröhlichkeit wirkte ansteckend, und so kam es, daß man wieder lebte — zwar nicht uneingeschränkt glücklich, denn das ist hienieden ohnehin nicht zu verlangen, aber so einigermaßen. Es gab Glück, und es gab Sorgen, aber die waren (muß man sagen, gottlob?) von der Werbung nicht in den Griff zu kriegen.

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