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Quartett-Festival

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Sie siedelt weitab von den spektakulären Konzertereignissen, beschert Kennern die erlesenste Form musikalischen Genusses und ist schließlich ein Gradmesser für die Musikalität einer Stadt, ihrer Gesellschaft. Sie: das ist die Quartettkunst, zwischen deren Qualität und dem tatsächlichen Musikengagement eines Publikums stets strenge Relationen wirken. Daher um so erfreulicher für Wien, was die diesjährigen Festwochen im Konzerthaus an Quartettgästen und -Programmen präsentierten. Soviel interessante Ensembles und charakteristische Programme waren in dieser Ballung seit Jahren hier nicht zu hören.

Da lösten einander nämlich internationale Spitzenensembles ab: das englische Amadeus-Quartett, das ungarische Bartök-Qtiartett, das russische Borodin-Quartett, nach denen überdies noch die vielversprechende junge Wiener Berp-Quartettfor-mation und das Nicolai-Quartett ihren Festwochenbeitrag, Mozart-und Bartök-Interpretationen, ablieferten.

Der eminente Reiz dieses Wettspiels lag vor allem in den sehr geschlossenen, konzentrierten Programmen, die das Publikum genau nachprüfen ließ, wieweit und wie intensiv sich diese Ensembles etwa mit dem Schaffen Mozarts, Bartöks oder Debussys auseinandergesetzt haben. Wenn man sich überhaupt zu einer Reihung unter diesen eigenständigen, im Klang teilweise sogar unverwechselbaren Quartetten entschließt, müßte man den Herren des Borodin-Quartetts den Vorzug geben: Was sie bei Debussys Opus 10 oder Ravels F-Dur-Quartett an schwerelosem, lichtdurchflutetem Spiel mit gleichsam magisch leuchtendem Klang, aber auch an dramatischer Ausdruckskraft auf engstem Raum bieten, war unübertroffen ... Unübertroffen wie das Maß an gegenseitigem Einverständnis, an des einzelnen Einfühlung und Erfühlen dessen, was die anderen drei gerade formulieren. Beispielhaft etwa Webern (fünf Sätze Opus 5), den man

in Wien eher selten so sachlich, streng durchdacht präsentiert hört.

Anders die Londoner. Amadeus-Leute, von denen drei Wiener sind. Eine gewisse Bestimmtheit klassisch klarer Phrasierung haftet ihrem Spiel an. Mozart — ihre Programme waren ausschließlich ihm gewidmet — wird mit lockerer, fast tänzerischer Bogenführung aufgegeigt: Heitere Liebenswürdigkeit, die sich stets ein herbes Flair bewahrt hat, ist ihr Trumpf. Kompromißlos-spekulativ geben sich hingegen die Bartök-Musiker, die des Meisters sechs Quartette mit aufwühlendem Impetus, fast schon exaltiert vortragen. Temperament bricht bei ihnen auch dort noch durch, wo bei uns Musiker nur zu gern „hehre Schönheit der Kunst“ mit „apollinischer Langeweile“ verwechseln.

K. H. R.

*

Das Programm des Nicolai-Quartetts wartete mit einem fast verschollenen Werk Bela Bartöks auf. Das Klavierquintett des Meisters, das er zusammen mit dem Prill-Quartett 1904 in Wien zur Uraufführung gebracht hat, wurde noch 1921 in Budapest mit dem Komponisten am Klavier gespielt, seither galt die Partitur als verschollen. 1963 war sie wieder aufgefunden worden und nun erlebte das Werk nach 69 Jahren eine Auferstehung in Wien. In dem Quintett kommt der Jugendstil des Komponisten mit seinem melodischen Überschwang zum Vorschein. Aber nicht die späteren Inspirationsquellen, das Volkslied, sind seine Bausteine, sondern der „Verbunkos“, die ungarische soldatische Anwerbemusik tänzerischen Charakters. Kennzeichnend für das ganze Werk und Bartök in jener Zeit ist die ungeheure Leidenschaft seines Musizierens. Der Kopfsatz, Andante-Allegro, mündet in ein orchestrales Furioso, dem al fresco hingeworfenen Vivace scherzando kontert ein aufwühlendes Adagio, das Finale legt ein kaum zu überbietendes Vivace vivacissimo vor, Das Werk erfuhr eine ausgezeichnete, mitreißende Wiedergabe durch die vier philharmonischen Quartett-

genossen Egger, Litschauer, Dolezal und den Primarius Binder, denen sich die temperamentvolle Budapester Pianistin Csilla Szäbö zugesellte. Eine plastische Interpretation mit einem Maximum an Ausdruckstiefe und Klangwerten.

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