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Journalisten prägen nicht unwesentlich das Bild eines Landes. Eine Umfrage unter Auslandskorrespondenten ergab überraschend einhellige Werturteile über die Bundesrepublik.

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Journalisten prägen nicht unwesentlich das Bild eines Landes. Eine Umfrage unter Auslandskorrespondenten ergab überraschend einhellige Werturteile über die Bundesrepublik.

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Rund 300 deutsche Journalisten beliefern die Medien der Bundesrepublik aus Bonn mit Informationen über das bundespolitische Tagesgeschäft. Daß es dort noch die gleiche Anzahl ausländischer Medienvertreter gibt, die das Bild der Bundesrepublik in ihre Heimatländer projizieren, ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt.

Die Verbandszeitschrift Journalist“ hat jetzt eine Umfrage unter Auslandskorrespondenten veröffentlicht, die auf ihr journalistisches Arbeitsfeld in der Bun-

deshauptstadt abzielt. Obwohl die Befragten von unterschiedlichster Herkunft sind (neben Westeuropäern sind Journalisten aus der Sowjetunion, aus Ägypten, Indien und Vietnam vertreten), fallen Lob und Tadel überraschend einhellig aus. Nur Jew-geni Grischin, Vertreter der Moskauer „Iswestija“, bürstet öfters kräftig gegen den Strich.

Alle Befragten beurteilen die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung in Bonn, und zwar im internationalen Vergleich, als hervorragend. Nirgendwo sonst stünden die Regierungsstellen, angefangen vom Bundespräsidialamt und Bundeskanzleramt bis hin zur letzten Behörde, den ausländischen Journalisten derart aufgeschlossen gegenüber; das gleiche gelte für Parteien, Verbände und Pressestellen der Großunternehmen. Daß dies allerdings, dank deutscher Gründlichkeit, zu einer „Uberschüt-tung“ mit Papieren, Zahlen, Statistiken und Zitaten führen kann, beklagt eine belgische Journalistin.

Diese für Ausländer überraschende Aufgeschlossenheit versucht der Korrespondent der Kairoer Zeitung „AI Ahram“ mit einem deutschen Schuldkomplex zu erklären. Die Presse sei im Dritten Reich nicht frei gewesen, und ausländische Journalisten hätten oft unter Druck arbeiten oder das Land verlassen müssen. Deshalb wolle man jetzt durch besondere Großzügigkeit zu einem neuen Bild des demokratischen Deutschland im Ausland beitragen.

Der Sowjetrusse Jewgeni Grischin äußert sich allerdings kritischer über seine Arbeitsmöglichkeit in Bonn. Zwar hält auch er die Einrichtung der Pressekonferenzen, die Informationsarbeit der Institutionen und die GesPräche mit Politikern und Wirtschaftsleuten für wertvoll. Aber der Journalist ist seiner Meinung nach kein „Stubenliterat“, der abseits von den Ereignissen steht und über das menschliche Leben nur nach den Berichten der Presse oder der Parteien schreibt; er braucht auch das Gespräch mit einfachen Menschen.

Und hier hat Grischin offenbar große Schwierigkeiten, weil es nach seinen Worten keine Möglichkeit gibt, frei Betriebe und Fabriken zu besuchen und dort mit Arbeitern über ihre Probleme zu sprechen; das gleiche gelte für den Kontakt mit einfachen deutschen Familien. Überdies würden seine journalistischen Arbeitsmöglichkeiten durch ständige Konfrontation mit einem durch Vorurteile geprägten Antikommunismus und Antisowjetismus gestört. Der Leser stutzt hier, denn diese Aussagen des Russen sind — spiegelbildlich — beinahe identisch mit

den Klagen der westlichen Korrespondenten in Moskau über die dortigen Einschränkungen ihrer Arbeit.

Nicht so positiv wie über die offizielle Informationspolitik in Bonn äußert sich der eine oder andere ausländische Journalist über die deutschen Kollegen. Der Franzose Marcel Linden, zur Zeit Vorsitzender des Vereins der Ausländischen Presse in Bonn, hält vor allem die informellen Kontakte zwischen Deutschen und Ausländern für ausbaufähig, wobei nicht Sprachschwierigkeiten, sondern psychologische Hemmnisse an der unzureichenden Kommunikation schuld seien.

Am besten verstünden sich die Ausländer mit deutschen Korrespondenten, die früher mal in London, Washington oder Brüssel gearbeitet haben; man empfinde sie nicht so provinziell wie diejenigen, für die der Gang nach Bonn die Krönung der Karriere sei. Und als Schlußpunkt wagt der Franzose ein deutliches Wort: „In Bonn sind bestimmt nicht die originell-

sten Köpfe des deutschen Journalismus angesiedelt.“

Der Inder Ramesh Jaura, seit 14 Jahren in Bonn, hält den Medien in der Bundesrepublik überdies vor, daß sie eine Schubladen-Denkweise pflegten; abgesehen von einigen noblen Ausnahmen werde die Objektivität der Berichterstattung von eigenen poli-. tischen Uberzeugungen und Parteizugehörigkeit geprägt.

Die Umfrage unter den ausländischen Korrespondenten bietet sicherlich eine für das offizielle Bonn erfreuliche, weil mit dem Weichzeichner geknipste Momentaufnahme der dortigen Medienbörse. Eine tiefgreifendere Analyse der Kommunikationsströme in der Bundeshauptstadt, nicht von praxisfernen Wissenschaftlern allerdings, steht noch immer aus. Möglicherweise wagt sich nur kein journalistischer Insider daran, weil er nicht das eigene Nest beschmutzen und obendrein die eigenen Quellen nicht versiegen lassen möchte.

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