6835368-1975_11_13.jpg
Digital In Arbeit

Sind sie schuldig?

19451960198020002020

In einer Zeit, da politische Gewalten den Menschen nur noch als manipulierten Teil einer gleichgeschalteten Masse gelten lassen, kann dem entgegen das Recht des einzelnen nicht,hoch genug geschätzt werden. Darum geht es in dem wiederholt aufgeführten, fast dreißig Jahre alten Stück „Winslow Boy“ des Engländers Terence Rattigan, das derzeit im Volkstheater zu sehen ist.

19451960198020002020

In einer Zeit, da politische Gewalten den Menschen nur noch als manipulierten Teil einer gleichgeschalteten Masse gelten lassen, kann dem entgegen das Recht des einzelnen nicht,hoch genug geschätzt werden. Darum geht es in dem wiederholt aufgeführten, fast dreißig Jahre alten Stück „Winslow Boy“ des Engländers Terence Rattigan, das derzeit im Volkstheater zu sehen ist.

Werbung
Werbung
Werbung

Es spielt bekanntlich in London vor dem Ersten Weltkrieg. Da gibt es ehrwürdige Institutionen, die Krone, die Admiralität, die konservative Partei und sozusagen ein Nichts: einen dreizehnjährigen Marinekadetten, der von seinen Vorgesetzten beschuldigt wurde, fünf Shilling gestohlen zu haben und deshalb das College verlassen mußte. Nun kämpft der Vater, dann ein Staranwalt für die Rehabilitierung des Jungen gegen den Widerstand dieser hochangesehenen Institutionen, dem Nichts wird schließlich sein Recht. Das Recht des einzelnen steht über allem, das gibt es, in der Demokratie.

Das Ensemble wird von Hans Jaray als Regisseur ebenso behutsam wie zielsicher geführt. Er selbst spielt mit gelassener Überlegenheit, mit unaufdringlichem Charme den Staranwalt. Herbert Probst ist ein in seinen Grundfesten glaubhaft erschütterter Vater, ihm sekundiert Helmi Mareich als Gattin,- dem Jungen gibt Motte Berlin beachtliehe Natürlichkeit. Evelyn Baiser überpointiert etwas seine energische ältere Schwester. Otto Niedermoser entwarf das treffliche Bühnenbild, Eva Sturminger die reizvoll zeitrichtigen Kostüme.

Was war Wirklichkeit in unserem Leben, was nicht? Dies kann mitunter ungewiß sein. Es gibt Verdrängungen. Aber kann man im Zweifel sein, ob man einen Mord begangen hat oder nicht? Fritz Hochwälder nimmt in der Komödie „Der Unschuldige“, die vom Volkstheater derzeit in den Wiener Außenbezirken gespielt wird, dies bei einem Großindustriellen kurzerhand an. Wozu? Um uns in Spannung zu halten: Hat er den Menschen erschlagen, dessen Skelett in seinem Garten bei Kanalisierungsarbeiten ausgegraben wird? Hochwälder ist ein Stücketechniker alter Schule, da klappert munter das Handwerk, Verdachtsgründe werden immer mehr gesteigert bis schließlich — wer? — der dem Vater ungenehme Liebhaber der Tochter seine Entlastung bringt. Die tieferliegende Frage, wer man nun eigentlich sei, entzieht sich dem Zugriff der Theaterpratzen. Unter der gewandten Regie von Peter M. Preissler gibt Peter Hey dem rüden Großindustriellen Profil, Walter Langer ist ein verschlagener Nachbar, Uwe Falkenbach ein kalt ehrgeiziger Amtsrichter. Das ansprechende Bühnenbild stammt von Peter Manhardt, Uli Fessler setzt für einzelne Männerkleider etwas zuviel Phantasie ein.

Wie sind „Die Stühle“ von Eugene Ionesco zu spielen? Bei der Uraufführung bot man äußersten Realismus. Mir gegenüber erklärte Ionesco seinerzeit, es sei eine große Bühne erforderlich. Weshalb? Damit möglichst viele Stühle herbeigeschleppt werden können. Das „Theater am Belvedere“, wo das Stück derzeit unter der Regie von Trimbert Ganser aufgeführt wird, hat dagegen eine winzige Bühne, es gibt keine Stühle, sondern lediglich ein paar Kisten als Hocker. Die beiden Hauptgestalten werden als Clowns dargestellt, mit kahlen Köpfen, mit übersteigertem Sprechen, exaltierten Bewegungen. Die „Stühle“ sind aber kein Clownspiel. Nur aus äußerster Realität kann das Irreale herausspringen, dazu bedarf es auch der vielen leeren, selbstredend realen Stühle. So nun wird die „metaphysische Leere“, um die es geht, verfehlt. Die jungen Darsteller, Werner Schöggl und Helma Luser, bekunden als Alter und Alte erhebliche Spielleidenschaft. Sigrid Feig entwarf treffliche, unkonventionelle Clownkostüme.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung