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Getarntes und Ungetarntes

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Während vor allem ln der Bundesrepublik so manche Intellektuelle, besonders Theaterleute, dauernd gegen die bestehenden demokratischen Verhältnisse revoltieren, eine Änderung der Gesellschaft — merkbare Richtung Osten — fordern, schreiben die zum Schweigen verurteilten Intellektuellen in der Tschechoslowakei Stücke, die sich einigermaßen getarnt gegen jedweden Terror wenden. Man steigt dabei in die Vergangenheit zurück und meint die heimische Gegenwart.

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Während vor allem ln der Bundesrepublik so manche Intellektuelle, besonders Theaterleute, dauernd gegen die bestehenden demokratischen Verhältnisse revoltieren, eine Änderung der Gesellschaft — merkbare Richtung Osten — fordern, schreiben die zum Schweigen verurteilten Intellektuellen in der Tschechoslowakei Stücke, die sich einigermaßen getarnt gegen jedweden Terror wenden. Man steigt dabei in die Vergangenheit zurück und meint die heimische Gegenwart.

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Auch bei der Begebenheit in zwölf Bildern von Oldfich Danek „Ich kehre nach Prag zurück” ist das der Fall, die das Theater in der Josef Stadt zur deutschsprachigen Erstaufführung brachte. Es gelingt, daß dieses Stück, nun in Prag verboten, jetzt wenigstens außerhalb der tschechoslowakischen Grenzen gespielt wird.

Die Kurie in Avignon verlangt die Bekämpfung der Ketzer. Da der Prager Bischof Jan von Daschitze erklärt, keine zu finden, fordert der vom Papst gesandte Inquisitor Char- lier, Unschuldige zu Ketzern zu erklären, um sie auf den Scheiterhaufen zu schicken. Dagegen wehrt sich der Bischof, aber schließlich verhindert er die Hinrichtungen nicht, da es unter einem Fanatiker, der ihm nachfolgen würde, noch ungleich mehr unschuldige Opfer gäbe. Der humane Bischof wird in dieser Zwangslage schuldig, die Vernunft siegt in einem fatalen Rechenexempel um Menschenleben.

Danek nennt dieses Stück „eine der üblichen Begebenheiten in der Geschichte dieses Landes”. Es ist klar, was damit gemeint ist, die Dechiffrierung drängt sich auf. Es geht nicht um Bischof, Inquisitor, Avignon anno 1316, sondern um heutige Prager Parteigrößen und Moskau. Offenbar bedrängt von der Situation seines Landes, setzt Danek voll politischen Eifers in der Zielrichtung Menschlichkeit fast ausschließlich dialektische Mittel ein, doch das Menschliche kommt dabei zu kurz. Die Gestalten bleiben einem gleichgültig, niöMt einmal dieį Opfer ergreifen stärker, das Problem hingegen packt. Die Aufführung unter der Regie von Michael Kehlmann kennzeichnet ein Kammerspielton, wobei Erik Frey als Bischof und Leopold Rudolf als Inquisitor diese Gestalten nur annäherungsweise, nicht voll überzeugend verkörpern. Kurt Heintel, Kurt Sowinetz und Michael Toost, wie Anneliese Stöckl und Marion Degler heben sich unter den übrigen Mitwirkenden stärker heraus. Der Bühnenbildner Gottfried Neumann- Spallart bietet hinter zwei immer wieder verschobenen Pfeilerfragmenten wechselnde Projektionen.

*

Die Reihe der österreichischen Dialektdramatiker, die das volle Leben dort packen, wo es am miesesten ist, setzt sich mit dem Schauspieler Herwig Seeböck fort, von dem im Volkstheater im Rahmen der „Konfrontationen” das Stück „Haushalt oder Die Sandhasen” uraufge- führt wurde. Diesmal sind es nicht wie bei Wolfgang Bauer verproleta- risierte Intellektuelle, sondern Menschen aus der Gosse, ordinär, brutal. Der Vater säuft, lungert herum, die Tochter säuft, der Sohn knebelt und fesselt „aus Hetz” den „Tepperten”, dem es mit der Schwester in der Küche nicht fein genug ist. Der „Heuschreck” giert nach der Mutter, verletzt mit dem Messer den Vater im Streit. Ein penetrantes Unsittenbild von staunenswerter Milieukenntnis und Akribie. Man spürt Seeböcks merkbares Behagen an reichlichem Darstellen menschlicher Niederungen. Wozu die Konfrontation? Das ist kein Warnbild wie bei Bauer. Was wird geboten? Freude am prallen Wirklichkertsabklatsch? Ein Einblick? Nachgerade sind wir orientiert über derlei, es wird diesen jungen Dramatikern auch einmal etwas anderes einfallen müssen. Keine andere Wiener Bühne könnte dieses Stück so vorzüglich wiedergeben wie das Volkstheater. Unter der Regie von Bernd Frischauer überbieten sich Peter Hey als ständig fauchender Vater, der Autor als brutaler Sohn, Brigitte Swoboda als kalt-egoistische Tochter, Dolores Schmidinger als bereits reichlich erfahrene Freundin des Sohnes und Bernhard Zemann als rüder „Heuschreck”, stückbedingt an Ordinärheit.

Richtig zeichnen auch Erna Schickei die weniger verlotterte Mutter und Alfred Pfeifer, den „Tepperten” aus etwas gehobenerem Milieu, nur ist da der Bobbyton unangebracht. Herwig Seeböck entwarf auch die vollgeräumte Küche als Bühnenbild.

In den Kammerspielen staunt man darüber, daß der Meisterboulevardier Molndr, der nicht selten ans Dichterische heranreicht, auch einmal über arge szenische Dürftigkeit nicht hinausgelangte. In der Komödie „Die Zuckerbäckerin”, uraufgeführt vor 36 Jahren im Akademietiheater, ergibt sich die Titelgestalt der Sehnsucht jenseits von Husarenkrapferln und dem braven Ehegatten seelisch „frische Luft” atmen zu können, soll heißen, beseligt den Honigworten eines Vorstadtbeaus zu lauschen. Aber das gelingt nur kurz, sie landet doch wieder bei Ischler Schnitten und besagtem Gespons. Ergebnis: Sanfter Kitsch, aufgefüllt mit hereingescho- . benen Tortenblechen und sekkanten . Kunden, zelebriert unter der Regie von Helmut Froschauer mit Elfriede Ott, Alfred Böhm und Erwin Strahl in den Hauptrollen. Der junge Michael Fischer-Ledenice fällt als drolliger Lehrling auf.

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