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Auf eine Sage als Stoff für ein Stück zurückzugreifen, mag manchem Dramatiker als antiquiert erscheinen. Die Gefahr besteht, in die Bereiche leergelaufener Konvention zu geraten. Dem entgegen vertraute Carl Zuckmayer seiner vollsaftigen Kraft, als er nach Jahren wieder ein Stück schrieb und eine bekannte Sage zum Vorwurf nahm. So entstand das als „Fabel“ bezeichnete Volksstück „Der Rattenfänger“, dessen Uraufführung am Anfang dieses Jahres in Zürich stattfand.. Derzeitige Wiedergabe im Volkstheater:

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Auf eine Sage als Stoff für ein Stück zurückzugreifen, mag manchem Dramatiker als antiquiert erscheinen. Die Gefahr besteht, in die Bereiche leergelaufener Konvention zu geraten. Dem entgegen vertraute Carl Zuckmayer seiner vollsaftigen Kraft, als er nach Jahren wieder ein Stück schrieb und eine bekannte Sage zum Vorwurf nahm. So entstand das als „Fabel“ bezeichnete Volksstück „Der Rattenfänger“, dessen Uraufführung am Anfang dieses Jahres in Zürich stattfand.. Derzeitige Wiedergabe im Volkstheater:

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Der Sage nach befreite ein Pfeifer die Stadt Hameln von den Ratten, der Lohn hiefür wurde ihm vorenthalten, worauf er die Kinder der Stadt entführte und mit ihnen in einem Berg verschwand. Diese vorgeblichen Geschehnisse rückte nun Zuckmayer in viel dargestellte Bereiche des heutigen Theaters: Die Zustände in Hameln werden scharf sozialkritisch gezeichnet, in der vorderen Stadt sind die Mächtigen unter dem Regenten Gruelhot arge Ausbeuter derer, die in der hinteren Stadt wohnen, eine Grausamkeitsszene fehlt nicht, so etwas wie einen Vamp, allerdings eine vorgestrige Gestalt, gibt es, Gruelhots Frau, die Jugend Hamelns — Hippies des dreizehnten Jahrhunderts — rebelliert gegen die Eltern und drängt von sich aus den Pfeifer, Bunting genannt, mit ihnen die Stadt zu verlassen. Die abschließende Sicht auf einen utopischen Zustand der Gerechtgkeit, mag auch der Weg opferreich und ein Scheitern möglich sein, entspricht nicht mehr dem Heute, gehört einer Sicht der zwanziger Jahre zu.

Dieser überaus figurenreiche Bilderbogen verlebendigt die Sage fabulierend und bietet im Pfeifer, der den Machinationen der Oberen erfolgreich widersteht, eine positive Gestalt, eine Art Tausendsassa, wie es sie in heutigen Stücken kaum mehr gibt. Zuckmayer kommt aus einer anderen Zeit. Der Bühne wird durch dieses Volksstück reiche Entfaltung ermöglicht. Regisseur Vaclav Hudeiek nützt - dies mit Hilfe des Choreographen Herbert Nitsch überlegen, wobei dermaßen viele Mitwirkende eingesetzt sind wie kaum je in diesem Theater. Die Bewegungsvorgänge machen die „Fabel“ zum imponierenden Schaustück. Das Bühnenbild von Zbynik Kolaf: Auf der Drehbühne ein mächtiges brückenartiges Holzgestell als Weg und gelegentlicher Aufenthaltsort, vier riesige gotische Wasserspeier darüber, schwarze Vorhänge. Besondere Anerkennung gebührt Rolf Langenfass für die farbig vorzüglichen Kostüme. Gottfried von Einem schrieb die akzentuierende Musik.

Als überaus beweglich und durch Intensität überzeugend erweist sich Enpen Stark in der Titelrolle. Ernst Meister gibt dem Gruelhot die finstere Verschlossenheit des rücksichtslosen Machthabers, seine Frau zeichnet Helmi Mareich „vamphaft“ attraktiv in einer Szene, die dem Autor danebengeriet. Rudolf Strobl ist ein korrupter, anmaßender Stiftprobst, Josef Hendrichs ein gütiger Dekan und Weihbischof. Heidi Picfwi hat das erfrischend Unbürgerliche jenes jungen Geschöpfs, das sich dem Pfeifer zugesellt und dann elend zugrunde geht. Treffliche Verkörperung der sehr vielen weiteren Rollen.

Im Theater in der Josefstadt ist ein 45 Jahre altes Erfolgsstück, die Komödie „Sturm im Wasserglas“ von Bruno Frank zu sehen. Ein Stadtrat stürzt über die Liebe einer armen Blumenfrau zu ihrem Straßenköter, für den sie die Steuer nicht bezahlen kann, weshalb er vertilgt werden soll. Das Stück liegt nicht in der heutigen Theaterlandschaft, gewiß. Aber ist Tierliebe veraltet? Ist es veraltet, daß sich da ein Journalist aus eigener Initiative für diese Frau publizistisch einsetzt, auch wenn er dadurch seine Stelle verliert? Vertragen wir das Darstellen schätzenswerter Eigenschaften nicht mehr? Ist nur noch das Negative glaubhaft? Das Stück langweilt in keiner Szene. Regisseur Peter Loos bietet eine treffliche Aufführung mit Lotte Lang als die um ihren Hund bangende Blumenfrau, mit Hugo Gottschlich und Alfred Reiterer, Klaus Windholz und Guido Wieland, Marianne Nentwich und Marianne Chappuis in den tragenden Rollen. Inge Fiedler bewährt sich wieder als Bühnenbildnerin.

Unter den österreichischen Dramatikern gibt es auch eine Boulevar-deuse: Beatrice Ferolli. Das Kleine Theater im Konzerthaus brachte ihr Lustspiel „Fetzen/lieger“ zur Uraufführung. Zwei' Studentinnen werden durch denselben Kollegen mit angereicherter Semesterzahl am gleichen Tag Mutter. Schuld daran erweist sich der Uni-Ball und im besonderen der „Fetzenflieger“, ein kleines Auto, das einer der beiden gehört, als Locus delicti. Ein guter Absprung ist ein ganzes Stück wert, dachte sich wohl die fingerfertig Schreibende und wiederholte das gleiche Kinderkriegen am Schluß, vermehrt um eine weibliche Zim-mers'chlacht. Akademisches Geschnatter, Libertinage, jungmütterliche Freuden, ein Schuß mißglückter Perversität sind die Ingredienzien ganz nach neuestem Trend.

Ansprechendes Spiel von Brigitte Neumeister, Gerlinde Döberl und Heinz Marecek unter der leichthändigen Regie von Claus Viller. Von Wolfgang Müller-Karbach stammt das schlichte Bühnenbild.

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