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So entstehen Feindbilder
Warum wird immer weniger gebeichtet? Anfang Jänner beschäftigte sich die Österreichische Pastoraltagung in Wien mit dieser Problematik.
Warum wird immer weniger gebeichtet? Anfang Jänner beschäftigte sich die Österreichische Pastoraltagung in Wien mit dieser Problematik.
Das Wissen um die notwendige Auseinandersetzung mit Schuld und Schulderfahrung im menschlichen Leben hat schon immer einen zentralen Bereich christlichen Glaubens und katholischer Theologie dargestellt, jahrhundertelange Einengungen auf ver-rechtlichte Gebotserfüllung und ein magisches Sakramentenverständnis haben jedoch maßgeb-
lieh zur Distanz auch der sogenannten praktizierenden Christen gegenüber Buße und Beichte beigetragen.
Mängel und Einseitigkeiten der Bußpraxis, darüber hinaus Emanzipation von Schuld und Sünde als Folge der Aufklärung, das Bild eines strafenden und richtenden Gottes, psychologische Erkenntnisse, Tabuisierung von Grenzerfahrungen machte die Augsburger Dominikanerin Benedikta Hintersberger bei der österreichischen Pastoraltagung über „Versöhnte Christen — Versöhnung in der Welt — Bußpasto-ral und Bußpraxis heute" für die Unfähigkeit vieler Menschen verantwortlich, sich persönlicher Schuld bewußt zu werden und ihr zu stellen.
Dem anthropologischen Aspekt der unreifen Schuldentlastung widmete auch Bischof Reinhold Stecher im Schlußreferat der Ta-
gung breiten Raum: durch Verdrängung, übertönende Betriebsamkeit, Schuldzuweisung an andere, wortreiches Zerreden, durch Verführung anderer zur selben Haltung und durch Ritualisierung der Entlastung würde seiner Meinung nach der notwendige Umkehrprozeß verhindert. Bischof Stecher interpretierte die heutige Krise des Bußsakraments auch als Chance für die Seelsorge, einen neuen Zugang und neue Formen zu suchen.
Bemühungen der Kirche um einen geordneten,, also befreienden Umgang mit menschlicher Schuld könnten den einzelnen und die Gesellschaft entlasten, wenn etwa der Anteil verdrängter eigener Schuld in gesellschaftlichen Fehlhaltungen (vom Tratsch bis zur Politikverdrossenheit), in Feindbild-Entwicklungen (Juden, Zigeuner, Schwarze) oder in falscher Solidarisierung (von der Bandenbildung Jugendlicher bis zum Terrorismus) vermindert werden könnte.
Nach der Heiligen Schrift stelle erst der Versuch umzukehren, neu anzufangen — so der Würzburger Alttestamentler Josef Schreiner — die Voraussetzung für eine Versöhnung mit Gott dar. Die Kirche als Ort, wo diese Versöhnung geschehe, dürfe — so Gottfried Bachl, Dogmatiker in Salzburg -dabei nicht die aus der Gegensätzlichkeit alles Lebendigen herrührenden Konflikte leugnen oder
diese Konflikte selbst als Sünde betrachten. Vielmehr müsse sie, ebenso auf die Gnade Gottes angewiesen wie jeder einzelne, Versöhnung auszustrahlen versuchen.
Welcher Wert diesem Prozeß der Umkehr zukommt, betonten bei dieser Tagung auch die Erfahrungsberichte aus der Praxis. Sie alle machten den Lernprozeß, das Unter-wegs-Sein, als notwendige Voraussetzung für Umkehr deutlich. Unverzichtbar sind für diesen Vorgang aber auch entsprechend motivierte und ausgebildete Begleitpersonen, nicht notwendigerweise nur Priester. So wird etwa gerade in der Lebensmitte eine Phase der Neuorientierung nur in Gang kommen, wenn im Beichtgespräch partnerschaftlich und menschlich miteinander umgegangen wird.
Dem neuen Umgang mit Schuld und Umkehr, mit Sünde und Buße sollte nicht nur durch eine neue Erschließung des Bußsakramentes in (sakramental)theo-logischer Sicht entsprochen werden, sondern auch durch vielfältige Formen der Einstimmung, Vorbereitung und Begleitung einer solchen veränderten Bußpraxis. In Bußfeiern und Bußandachten, in sinnvollen Formen der Schulbeichte, in entsprechenden Hilfen zur Gewissensbildung (anstelle früherer „Beichtspiegel") könnten sich diese niederschlagen.
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