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Sosüa: Verheißene Stadt

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Wie die Karibik eben so ist: Meilenweit weißer Sand, Palmen, kristallklares Wasser, atemlähmende Hitze, bis die Sonne sinkt. So auch in Sosüa, das in kaum einem Weltatlas zu finden ist. Dennoch ist die Ansammlung von einigen Gebäuden, Wohnhäusern und Betrieben an der Nordküste der Dominikanischen Republik ein ungewöhnlicher Ort: In der Rezeption von „Koch's Guesthouse“, wo man sich (mit einem idyllischen Blick über die Bucht) einquartieren kann, hängt neben dem Bild von Golda Meir die vergilbte Fotografie eines Soldaten in der Uniform des österreichischen Bundesheeres der Ersten Republik.

Das Foto zeigt den jungen Felix Koch, der in der Meidlinger Kaserne zu Wien diente — bis die Nazis in Österreich einmarschierten.

Wie Koch - über ein französisches Internierungslager — nach Sosüa kam, ist ein Teil der Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung, bei der die jüdischen Flüchtlingsorganisationen in New York und ein um guten Eindruck bemühter Diktator 600 Juden das Leben retteten und zu einer neuen Existenz verhalfen.

Man schrieb das Jahr 1938. Diktator Rafael Leonidas Trujillo (er amtierte bis 1961, als er einem militärischen Komplott zum Opfer fiel), der US-Präsident Franklin D. Roosevelt mit einem Massaker an haitianischen Gastarbeitern in der Dominikanischen Republik verstimmt hatte, wollte sich bei den USA wieder ins 'rechte Licht setzen. So trompetete er seine Bereitschaft aus, jüdischen Flüchtlingen aus Europa eine „Stadt der Verheißung“ auf seinen Ländereien auf Hispaniola zu ermöglichen.

Natürlich tat der Caudillo das nicht umsonst: Er ließ sich das Dschungelland um Sosüa vom „United Jewish Appeal“ in New York um die damals beeindruk-kende Summe von einer Million Dollar ablösen!

1940/41 kamen dann in mehreren Schüben österreichische, deutsche und ungarische Juden an (nachdem noch einmal tief in die Tasche gegriffen worden war, um sie aus den europäischen Konzentrations- und Internierungsla-gern freizukaufen). Zum größten Teil waren es junge und arbeitsfähige Männer, die den harten Kern der verheißenen Stadt bildeten.

Was sie vorfanden, war ein dicht bewachsenes Hügelland hinter der Küste, das gerodet werden mußte. Der Beginn als kollektiver Kibbuz mit Gemüsebau und Landwirtschaft wurde jedoch ein Mißerfolg. Erst nach dem Krieg, als Agrarberater aus Israel zur Umstellung auf Viehzucht geraten hatten, ging es mit der jungen Gemeinde bergauf: Das erste Entwicklungsprojekt der Dominikanischen Republik, die Viehzucht-und Milchwirtschaftskooperative Sosüa, trug in den fünfziger Jahren reiche Früchte.

Heute werden Milch, Butter, Fleisch- und Wurstwaren von Sosüa aus in die entlegensten Supermärkte des Landes geliefert. Der jährliche Umsatz der als Aktiengesellschaft organisierten Kooperative beträgt mehrere hundert Millionen Dollar.

Ob des kommerziellen Erfolges ging die Idee der verheißenen Stadt verloren, viele der ursprünglichen Mitglieder wanderten mit den ersten besseren Einkünften in die Vereinigten Staaten und nach Israel weiter oder nach Deutschland zurück. Geblieben sind nur noch 35 Köpfe der Urgemeinde, zumeist die damaligen Junggesellen, die dominikanische Frauen geehelicht haben. Geblieben sind auch eine Synagoge, eine erstklassige Schule und die vorzügliche Privatklinik. Geblieben ist auch die Weltoffenheit des Dörfchens, wo man — fern von Ballungszentren —, klappt es mit Spanisch oder Englisch nicht, ohne Zögern ins Deutsche zurückfallen kann.,

Warum es gerade Österreicher sind, die in Sosüa geblieben sind, hat — so meint Felix Koch ohne Resignation — auch damit zu tun, daß sich Österreich im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland nie besonders um seine Bürger in Sosüa gekümmert hat. Schließlich ist die für die Dominikanische Republik zuständige österreichische Botschaft in Venezuela.

So leben die aus Österreich vertriebenen und in die Karibik geretteten Juden in Sosüa noch ein Stück Vorkriegsösterreich. Sie leben eine Kultur, die bei uns vom Nationalsozialismus ausgerottet wurde. Es sind nur noch wenige, und sie sind nicht mehr jung — es wäre höchste Zeit, daß sich — wenn schon nicht die Nachkriegsrepublik — so wenigstens die Forschung der achtziger Jahre um sie kümmerte.

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